Dritter Artikel. Die Vermögen des sinnlichen Teiles können Sitz für Zustände sein.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Wie das Nährvermögen ein vernunftloser Teil ist, so auch das Sinnesvermögen. In die Vermögen des Nährteiles aber wird kein Zustand verlegt. Also darf dies auch nicht bei den Vermögen des sinnlichen Teiles statthaben. II. Der sinnliche Teil ist gemeinsam uns und den Tieren. In den Tieren aber finden sich keine „Zustände“; denn es besteht in ihnen kein Wille, der ja (Kap. 49, Art. 3.) in die Begriffsbestimmung des „Zustandes“ gesetzt wird. III. Wissen und Tugend bilden die Zustände der Seele. Wie nun das Wissen zum auffassenden Teile der Seele gehört, so die Tugend zum begehrenden. In den sinnlichen Vermögen aber sind keine Wissenschaften, weil die Wissenschaft sich auf das Allgemeine richtet, das der Sinn nicht auffassen kann. Also können auch nicht Tugenden als Zustände im sinnlichen Teile sein. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (3 Ethic. 10.): „Einige Tugenden (wie die Mäßigkeit und Stärke) sind im vernunftlosen Teile.“
b) Ich antworte, die Sinneskräfte können berücksichtigt werden entweder als vom Antriebe der Natur allein bewegt oder als unter der Anordnung der Vernunft befindlich. Nach der erstgenannten Seite hin sind die Sinneskräfte von Natur auf eine allseitig bestimmte Thätigkeit gerichtet und bestehen sonach in ihnen keine Zustände. Nach der zweitgenannten Seite hin aber können sie von seiten der Vernunft auf Verschiedenartiges gerichtet werden; und so können Zustände in ihnen bestehen, wonach sie in guter oder schlechter Verfassung sind.
c) I. Die Nährkräfte sind nicht geeignet, der Anordnung der Vernunft zu gehorchen; und demnach sind in ihnen keine Zustände. Die Sinneskräfte aber können der Anordnung der Vernunft folgen und werden danach (1 Ethic. ult.) gewissermaßen als „vernünftige“ bezeichnet. II. In den Tieren sind die sinnlichen Instinkte nicht dazu angethan, vernünftiger Anordnung, die in ihnen selbst sich fände, zu gehorchen. Deshalb bestehen da keine Zustände, die auf das Thätigsein Bezug hätten. Wohl aber ist in ihnen Gesundheit, Schönheit u. dgl., d. h. Zustände, die sich auf die Natur allein in ihnen beziehen. Weil aber die Tiere von der Vernunft des Menschen gewohnheitsmäßig verwendet werden, damit sie dies oder jenes thun, so können demgemäß in den Tieren Zustände angenommen werden. Und so sagt Augustin (83 Qq. 36.): „Wir sehen, daß die wildesten Tiere der größten Ergötzlichkeiten sich enthalten aus Furcht vor Schmerz; und geht dies in ihre Gewohnheit über, so werden sie als gezähmt und sanft bezeichnet.“ Da jedoch der Wesenscharakter eines Zustandes mit Rücksicht auf den freiwilligen Gebrauch dessen, was in Gewohnheit oder in Zustand übergegangen ist, ihnen fehlt, fo sind in ihnen im eigentlichen Sinne keine Zustände. III. „Das Sinnesbegehren ist dazu angethan, in Thätigkeit gesetzt zu werden vom vernünftigen Begehren,“ heißt es 3. de anima. Dagegen sind die vernünftigen auffassenden Kräfte dazu angethan, zu empfangen von den sinnlichen auffassenden Kräften. Und deshalb ist es zukömmlicher, daß Zustände sind in den sinnlichen begehrenden Kräften wie in den sinnlichen auffassenden Kräften; da in den ersteren keine Zustände sich finden, außer insoweit diese Kräfte von der Anordnung der Vernunft aus in Thätigkeit gesetzt werden. Jedoch können auch in den inneren sinnlichen auffassenden Kräften einzelne Zustände sich finden, nach denen der Mensch in guter Verfassung ist, dem Gedächtnisse nämlich oder der sinnlichen Denkkraft oder der Einbildungskraft nach. Deshalb sagt Aristoteles (2. de mem.): „Die Gewohnheit trägt viel dazu bei, daß der Mensch ein gutes Gedächtnis hat.“ Denn auch diese Kräfte sind thätig infolge der Anordnung der Vernunft. Die äußeren auffassenden Sinneskräfte aber, wie das Gesicht, das Gehör, können nicht der Sitz von Zuständen sein; denn von Natur sind sie in ganz bestimmter Weise auf ihre Gegenstände gerichtet. Dasselbe findet statt bei den Gliedern des Körpers; da sind Zustände vielmehr in den sie bewegenden Kräften.
