Fünfter Artikel. Der Wille ist Sitz einiger Zustände.
a) Dagegen spricht: I. Die Zustände in der Vernunft setzen sich aus Ideen oder Erkenntnisformen zusammen, vermittelst deren der thatsächliche Erkenntnisakt sich vollzieht. Der Wille aber ist nicht thätig auf Grund solcher Erkenntnisformen oder Ideen. Also ist in ihm kein Zustand. II. In der „wirksam thätigen“ Vernunft (welche die allgemeinen Ideen von den Phantasiebildern thatsächlich abzieht) ist kein Zustand wie solche in der „möglichen“ Vernunft sind. Denn sie ist eine thätige, einwirkende; keine empfangende Kraft. Der Wille aber ist im höchsten Grade ein thätiges Vermögen; denn es bewegt alle anderen Vermögen zu den ihnen entsprechenden Thätigkeiten hin. Also ist in ihm keinerlei Zustand. III. In den rein natürlichen Vermögen findet sich kein Zustand, weil sie von Natur aus zu etwas Einem bestimmt sind. Der Wille aber hat es von seiner Natur, daß er auf das Gute sich richtet, wie es durch die Vernunft geregelt ist. Also ist da ein Zustand überflüssig. Auf der anderen Seite ist die Gerechtigkeit ein Zustand. Die Gerechtigkeit aber ist im Willen. Denn „sie ist ein Zustand, welchem gemäß man will und thut Gerechtes.“ (5 Ethic. 1.)
b) Ich antworte, jegliches Vermögen, das da in verschiedener Weise bezogen werden kann auf das Thätigsein, bedarf eines Zustandes, vermittelst dessen es in gute regelmäßige Verfassung gebracht wird mit Rücksicht auf das Thätigsein. Der Wille aber, als vernünftiges Vermögen, kann in verschiedener Weise auf das Thätigsein bezogen werden. Also muß in ihm ein Zustand sein, kraft dessen er in gute regelmäßige Verfassung kommt für das Thätigsein. Sodann geht es aus der Natur selber des Zustandes hervor, daß im Willen ein solcher sein muß; insofern jeder Zustand etwas ist, dessen man sich bedienen kann, wenn man will.
c) I. Wie in der Vernunft eine Erkenntnisform als Ähnlichkeit des Gegenstandes ist; so muß im Willen und überhaupt in jeder begehrenden Kraft etwas sein, wodurch er hingeneigt wird zu seinem Gegenstande, da ja die Thätigkeit eines begehrenden Vermögens nichts Anderes ist als eine gewisse Hinneigung, wie Kap. 6, Art. 4. und Kap. 22, Art. 2. gesagt worden. Wozu also eine begehrende Kraft hinlänglich hingeneigt wird durch die Natur des Vermögens selber, dafür bedarf es keiner eigenen Form oder Eigenschaft, die zum Vermögen hinzutritt, um es hinzuneigen. Weil aber es zur Erreichung des menschlichen Lebenszweckes notwendig ist, daß die begehrende Kraft hingeneigt wird zu einem bestimmten Gegenstande, zu dem sie von Natur aus keine bestimmte Hinneigung hat, ist sie doch eben von Natur gleichgültig für Vieles und Verschiedenes; — so ist es erforderlich, daß im Willen und in den begehrenden Kräften einige Eigenschaften und Formen sind, die zu einem bestimmten einzelnen Gegenstande hinneigen; und diese nennt man Zustände. II. Die wirksam thätige Vernunft ist nur einwirkend und in keiner Weise empfangend oder leidend. Der Wille aber wie jede begehrende Kraft ist nach einer Seite hin bewegend und nach der anderen in Bewegung gesetzt. Sitz eines Zustandes jedoch kann etwas nur sein, insofern es gewissermaßen im Vermögen ist, von Anderem her bestimmt zu werden. III. Kraft seiner Natur neigt der Wille als Vermögen zum Guten, wie es die Vernunft regelt, hin. Weil aber solches Gut noch vielfache Verschiedenheiten zuläßt, ist es notwendig, daß zu einem allseitig bestimmten Gute der Vernunft der Wille noch durch Zustände hingeneigt werde, damit die Wirksamkeit eine bereitwilligere sei.
