Vierter Artikel. In der Vernunft sind Zustände.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Die Zustände entsprechen den Thätigkeiten; und diese sind beim Menschen seiner Natur entsprechend Leib und Seele gemeinsam. (1. de anima.) Die Vernunft aber ist nicht die Thätigkeit von etwas Körperlichem, wie der Sinn. Also ist da nicht der Sitz eines Zustandes. II. Was innerhalb eines Wesens sich findet, das ist da gemäß der Seinsweise dieses Wesens. Was nun bloß stofflose Form ist, das ist auch rein Thätigkeit; nur was aus Stoff und Form zusammengesetzt ist, begreift Thatsächlichkeit und Vermögen zugleich in sich. Was also nur Form ist, in dem kann auch wieder nichts sich vorfinden, was zugleich nach einer Seite hin im Vermögen und nach der anderen hin im Stande des Thatsächlichen, Thätigen wäre; das kann nur in dem sich vorfinden, was aus Stoff und Form zusammengesetzt ist. Nun ist die Vernunft eine bestimmende Form ohne Stoff. Ein „Zustand“ also, der ja seiner Natur nach zugleich einerseits im Vermögen zu einer Thätigkeit sich findet und andererseits thatsächlich bestimmend ist für das Subjekt, das ihn trägt, kann nicht in der Vernunft allein seinen Sitz haben, sondern in dem, was aus Leib und Seele als Zusammengesetztes hervorgeht. III. Daß jemand „in guter oder schlechter Verfassung ist rücksichtlich der Thätigkeit der Vernunft“, was also für die Vernunft einen Zustand bedeuten würde, kommt von einem gewissen körperlichen Zustande; weshalb Aristoteles (2. de anima) sagt, „daß wir sehen, wie jene, deren Fleisch leicht Eindrücken von außen zugänglich ist, mit rascherem Verständnisse ausgestattet sind.“ Also sind die Zustände, welche der Erkenntnis dienen, nicht in der Vernunft, sondern in einem Vermögen, das seiner Natur nach die Thätigkeit eines körperlichen Teiles ist; wie die Einbildungs-, die sinnliche Denkkraft etc. Auf der anderen Seite weist Aristoteles (6 Ethic. 2, 3. et 10.) der Wissenschaft, der Weisheit und ebenso dem Verständnisse, also jenem Zustande, wonach wir von Natur, d. h. ohne weiteres Nachforschen die ersten Grundprincipien, wie z. B. das Widerspruchsprincip erkennen, die Vernunft als Sitz an.
b) Ich antworte, rücksichtlich der Zustände, die der Leichtigkeit des Erkennens dienen, beständen verschiedene Meinungen. Denn jene, die da meinen, es bestände nur eine einzige „mögliche“, d. h. die Ideen oder Erkenntnisformen aufnehmende und demgemäß erkennende Vernunft in allen Menschen, sind gezwungen, anzunehmen, die dem Erkennen dienenden Zustände seien nicht in der Vernunft selber, sondern in den inneren sinnlichen Erkenntniskräften. Offenbar nämlich sind die Menschen in ihren Erkenntniszuständen voneinander verschieden. Also können solche Zustände ihren Sitz oder ihr Subjekt nicht in dem haben, was als in absoluter Einheit bestehend allen Menschen gemeinsam ist. Giebt es somit nur eine einzige menschliche Vernunft, welche die Ideen als Erkenntnisformen trägt, so können die Zustände für die Wissenschaften, wonach die Menschen sich voneinander unterscheiden, nicht in der erkennenden Vernunft als ihrem tragenden Subjekte sein, sondern sie werden in den inneren sinnlichen Kräften ihren Sitz haben, die in den verschiedenen Menschen verschieden sind. Diese Annahme aber ist 1. gegen Aristoteles. Denn offenbar sind die sinnlichen Kräfte nicht ihrem Wesen nach „vernünftig“, sondern nur, weil sie an der Vernunft gewissermaßen teilnehmen, insofern sie deren Anordnungen nachkommen. (1 Ethic c. ult.) Nach Aristoteles aber sind die Zustände der Weisheit, der Wissenschaft, des Verständnisses in dem was seinem Wesen nach vernünftig ist. Also können sie nur in der Vernunft selber sein. Sodann sagt Aristoteles (3. de anima) noch ausdrücklich: „Die mögliche, also die Erkenntnisformen aufnehmende Vernunft, wenn sie auf diese Weise (nämlich dadurch daß sie von den einzelnen Dingen die allgemeinen Ideen erhält und somit fähig wird, das Einzelne vernünftigerweise zu erkennen) auf Einzelnes sich richtet, wird dann etwas gemäß dem Thatsächlichen,“ in der Weise nämlich wie einer, der etwas weiß bezeichnet wird als von dem betreffenden Wissensgegenstande bereits (vermittelst der Idee) bethätigt, wenn er auch dieses sein Wissen thatsächlich auf nichts anwendet, also keinen Erkenntnisakt für den Augenblick vollzieht. Er ist bethätigt, weil er ohne weiteres sein Wissen anwenden kann, sobald er will. Auch dies also ist noch im Stande des Vermögens gewissermaßen; aber nicht so, ohne weiteres, wie der Wissende es war, bevor er lernte oder erfand. Innerhalb der Vernunft selbst also muß der Zustand der Wissenschaft sein, vermittelst dessen jemand ohne weiteres thatsächlich überlegen kann, wenn er auch wirklich nicht überlegt. Die erwähnte Annahme ist 2. gegen den wirklichen Thatbestand. Denn wie dem das Vermögen zugehört, an dem es ist, zu wirken; so ist auch dem der Zustand zugehörig, an dem es ist, thätig zu sein. Vernünftig erkennen aber und überlegen ist die der Vernunft eigene Thätigkeit. Also ist auch der Zustand, vermittelst dessen überlegt und erkannt wird, so recht eigentlich in der Vernunft selber.
c) I. Manche meinten, wie Simplicius berichtet (comm. in praead. c. de qual.), daß, „weil“ nach 1. de anima „jegliches Thätigsein des Menschen gewissermaßen dem aus der Verbindung von Leib und Seele sich ergebenden Zusammengesetzten angehört,“ auch keinerlei Zustand in der Seele allein seinen Sitz habe, sondern nur, insoweit sie mit dem Körper verbunden ist. Daraus folgt nun, daß kein Zustand in der Vernunft seinen Sitz hat, da die Vernunft als solche ihrem Wesen nach von allem Stoffe getrennt ist. Dieser Grund aber ist kein zwingender. Denn kein Zustand ist eine „Verfassung“ des tragenden Subjekts mit Bezug auf das Vermögen oder zum Vermögen hin; sondern ist vielmehr eine weitere Bestimmung und Bethätigung des Vermögens zum Gegenstände hin. Also muß wohl der Zustand innerhalb des Vermögens sein, das da Princip der Thätigkeit ist; nicht aber ist das Vermögen der Gegenstand, worauf er sich richtet. Das vernünftige Erkennen aber wird als gemeinsam für Seele und Leib bezeichnet nur auf Grund des Phantasiebildes. (1. de anima.) Nun steht das Phantasiebild in Beziehung zur „möglichen“ Vernunft, welche nämlich die aus den Phantasiebildern abgezogenen Ideen in sich aufnimmt und so „möglich“ wird, etwas Bestimmtes zu erkennen, wir sagen, das Phantasiebild steht in Beziehung zur „möglichen“ Vernunft wie der Gegenstand. (3. de anima.) Also hält sich ein „Zustand“ in der Vernunft immer hauptsächlich von seiten des Vernunftvermögens; nicht aber von seiten des Phantasiebildes, das da Leib und Seele gemeinsam ist, d. h. aus der Verbindung von Leib und Seele resultiert. Und deshalb muß man sagen, daß die „mögliche“ Vernunft Sitz von Zuständen ist. Denn jenem kommt es zu, Sitz eines Zustandes zu sein, was auf Vieles hin sein Vermögen erstreckt; und das kommt im höchsten Grade der „möglichen“ Vernunft, welche nämlich zuerst vermittelst der Ideen „möglich“ wird, um zu erkennen und dann thatsächlich erkennt. Die Vernunft also ist das Subjekt oder der Sitz von Erkenntniszuständen. II. Das Vermögen, um sinnlich wahrnehmbares Sein zu haben, kommt dem körperlichen Stoffe zu; das Vermögen aber, geistig vernünftiges Sein zu haben, kommt der „möglichen“ Vernunft zu. Also steht dem nichts entgegen, daß in der „möglichen“ Vernunft ein Zustand sich finde, der da in der Mitte stehe zwischen reinem bloßen Vermögen und vollendetem Thatsächlichsein. III. Weil die auffassenden sinnlichen Kräfte innerlich für die „mögliche“ Vernunft den dieser eigenen Gegenstand vorbereiten; deshalb wird infolge der guten Verfassung dieser Kräfte, zu der mitwirkt die gute Verfassung des Körpers, der Mensch geeignet zum geistigen Verstehen. Und so kann ein Erkenntniszustand an zweiter, abhängiger Stelle in diesen Kräften sich finden; an erster Stelle aber ist ein solcher in der „möglichen“ Vernunft.
