Zweiter Artikel. Nicht können mehrere Vermögen gleichmäßig Sitz einer einzigen Tugend sein.
a) Das Gegenteil erhärten folgende Gründe: I. Die Zustände werden erkannt durch die Thätigkeiten. Eine einzige Thätigkeit aber kann mehreren Vermögen zugehören; wie das Gehen der Vernunft angehört als der Richtschnur und dem Gehvermögen als der ausführenden Kraft. II. Nach Aristoteles (2 Ethic. 4.) gehören drei Dinge zur Tugend: Wissen, Wollen und Festigkeit. Wissen aber gehört der Vernunft an; und Wollen dem Willen. Also gehört die Tugend zu mehreren Vermögen. III. Die Klugheit ist in der Vernunft; denn sie ist (nach 6 Ethic. 5.) „die rechte Richtschnur dessen, was gewirkt wird.“ Sie ist auch im Willen (I. c. c. 12.); denn sie kann nicht zusammen sein mit einem verkehrten Willen. Also kann eine Tugend in mehreren Vermögen sich finden. Auf der anderen Seite ist die Tugend in einem Vermögen wie in ihrem Sitze oder Subjekte. Die nämliche hinzutretende Eigenschaft kann aber nicht mehrere Subjekte oder Träger haben. Also können nicht mehrere Vermögen der Sitz oder das Subjekt einer einzigen Eigenschaft sein.
b) Ich antworte; in doppelter Weise kann etwas in zwei Dingen seinen Sitz haben: einmal so, daß es völlig gleichmäßig in beiden sich findet; und so kann nicht eine Tugend in zwei Vermögen ihren Sitz haben. Denn die Verschiedenheit der Vermögen wird erwogen gemäß den allgemeinen Seinsbedingungen der Gegenstände; die Verschiedenheit der Zustände aber gemäß den besonderen. Wo also Verschiedenheit in den Vermögen sich findet, da ist auch Verschiedenheit in den Zuständen; aber nicht umgekehrt. Dann kann etwas in zwei oder mehreren Dingen als in dem Subjekte sich finden; nicht zwar ganz gleichmäßig, jedoch so, daß es in dem einen Vermögen an erster Stelle sich findet und im anderen danach, soweit dieses vom ersteren bewegt wird oder etwas empfängt. Und so kann die Tugend in mehreren Vermögen als ihrem Subjekte sein.
c) I. Einem gewissen Verhältnisse nach in den Vermögen kann eine Tugend in mehreren sein. II. Dem Wesen nach ist die moralische Tugend in dem begehrenden Teile; das Wissen aber wird vorausgesetzt. III. Die Klugheit ist wesentlich in der Vernunft unter Voraussetzung der Geradheit des Willens.
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