Erster Artikel. Die Sünde mindert das der Natur entsprechende Gute
a) Das scheint nicht. Denn: I. In den Teufeln wurden die natürlichen Güter nicht vermindert durch die Sünde; also auch nicht in uns, deren Sünden nicht so schwer sind. II. Was früher da ist, wird nicht geändert kraft der Veränderung in dem, was später dazu gekommen ist; wie die Mauer z. B. dieselbe bleibt, wenn sie auch aus einer schwarzen eine weiße wird. Die Natur des Menschen aber besteht, ehe die freiwillige Thätigkeit eintritt. Entsteht also da eine Unordnung durch die Sünde, so ist damit nicht gesagt, daß die Natur verändert wird. III. Die Sünde ist eine gewisse Thätigkeit; Minderwerden aber ein gewisses Leiden. Kein thätigseiendes Wesen jedoch leidet dadurch selber, daß es thätig ist. Wer also sündigt, mindert durch die Sünde nicht das Gute seiner Natur. IV. Keine hmzutretende Eigenschaft wirkt thätig ein in das Subjekt, welches ihr Träger oder Subjekt ist. Denn was unter einem thätigen Einflüsse leidet, das ist nur dem Vermögen nach Sein; und was einer Eigenschaft als Träger oder Subjekt untersteht, ist mit Rücksicht auf diese Eigenschaft thatsächlich Sein. Die Sünde aber ist im Guten der Natur wie eine Eigenschaft in ihrem Träger oder Subjekte ist. Die Sünde also mindert nicht das Gute der Natur; denn mindern bedeutet thätig sein. XL. Auf der anderen Seite sagt Beda zu Lukas 10. Homo descendens ab Hierusalem in Jeriocho, d. i. in die Sünde: „Er ward beraubt der Gnadengaben, verwundet in den natürlichen.“
b) Ich antworte, daß unter „Gut der Natur“ verstanden wird: 1) die Principien selbst der Natur, von welchen die Natur gebildet wird, und die Eigentümlichkeiten, welche daraus hervorgehen, wie die Seelenvermögen u. dgl.; und dieses Gute wird weder genommen durch die Sünde noch gemindert; — 2) die Neigung, welche der Mensch von Natur zur Tugend hat nach Kap. 63, Art. 1; und dieses Gute wild vermindert durch die Sünde, denn durch die Sündenakte entsteht eine gewisse Hinneigung zu ähnlichen, also zu den der Tugend entgegengesetzten Akten, wodurch natürlich die Hinneigung zur Tugend gemindert wird; — 3) das Geschenk der Urgerechtigkeit; und dieses Gute nimmt durchaus der Sündenakt.
c) I. Es handelt sich da um das erstgenannte Gut; um das Sein, Leben und Erkennen; vgl. Dionysius 4. de div. nom. II. Die Natur hat immerhin eine Hinneigung zu gewissen freiwilligen Thätigkeiten. Nicht also die Natur selbst, sondern diese Hinneigung wechselt von jener Seite her, von der aus sie zum Zielpunkte Beziehung hat. III. Die freiwillige Thätigkeit geht von verschiedenen Vermögen aus, von denen das eine thätig ist, das andere leidet. Und so vermindern die freiwilligen Thätigkeiten etwas; vgl. Kap. 51, Art. 2. IV. Die hinzutretende Eigenschaft wirkt allerdings nicht ein in ihren Träger wie eine wirkende Ursache, jedoch wie eine Form; in der Weise wie man sagt, die weiße Farbe mache weiß. Die Sünde also selber ist die Minderung des Guten, insoweit sie zur Unordnung in der Thätigkeit gehört. Handelt es sich aber um die Regellosigkeit im wirkenden, so wird solche Regellosigkeit dadurch verursacht, daß in den Thätigkeiten der Seele etwas thätig ist und etwas leidend, wie z. B. der begehrbare Gegenstand in Bewegung setzt das Begehren, und das Begehren hinneigt die Vernunft und den Willen, wie Kap. 77, Art. 1 und Kap. 80, Art 2 gesagt worden. Nicht also wirkt da eine hinzutretende Eigenschaft ein auf ihre eigene Substanz, sondern der Gegenstand wirkt auf das Vermögen und ein Vermögen auf das andere und bringt da hinein Unordnung.
