Sechster Artikel. Die Natürlichkeit des Todes und der anderen körperlichen Mängel.
a) Der Tod und die anderen körperlichen Mängel sind dem Menschen durchaus natürlich. Denn: I. „Vergänglich“ und „unvergänglich“ zeigt nach 10 Metaph. „einen Unterschied in der Seinsart an.“ Die Menschen aber sind der nämlichen Seinsart, wie die übrigen sinnbegabten Wesen, die ihrer Natur nach vergänglich sind. II. Der menschliche Körper ist aus einander entgegengesetzten Elementen zusammengesetzt. Dergleichen Körper aber haben der Natur nach die Ursache ihres Vergehens in sich selber. III. Das Warme zehrt durchaus der Natur gemäß das Feuchtige auf. Das Leben des Menschen aber wird erhalten durch das richtige Verhältnis des Warmen zum Feuchten. Da also die Lebensthätigkeiten alle sich vollziehen durch die Wirksamkeit der natürlichen Wärme, so scheinen der Tod und dergleichen Mängel durchaus der Natur des Menschen zu entsprechen. Auf der anderen Seite: IV. Was dem Menschen natürlich ist, das hat Gott in ihm gemacht. Vom Tode aber heißt es (Sap. 1.): „Gott hat den Tod nicht gemacht.“ V. Der Tod und was daraus folgt, ist Strafe der Sünde; also nicht einbegriffen in der Natur des Menschen. VI. Der Stoff steht im gebührenden Verhältnisse zur Beschaffenheit der Wesensform; und jedes Ding steht im gebührenden Verhältnisse zu seinem Zwecke. Der Zweck des Menschen aber ist die ewige Seligkeit; und die Wesensform des Menschen ist seine unvergängliche vernünftige Seele. Also ist der menschliche Körper nicht von Natur aus vergänglich.
b) Ich antworte, daß wir über alle vergänglichen Wesen sprechen können entweder gemäß der Natur im allgemeinen oder gemäß der Natur, wie sie in diesem besonderen Dinge ist. Denn die Natur, als im besonderen einzelnen Dinge befindlich, ist die jeglichem Dinge eigene thätige und erhaltende Kraft, wonach jedes Vergehen oder Verderben und jeder Mangel gegen die Natur ist, nach 2. de coelo, da solche Kraft das Sein und die Erhaltung des Dinges bezweckt, dem sie zugehört. Die Natur im allgemeinen betrachtet aber ist die thätige Kraft in einem auf das Ganze der Natur gerichteten allgemeinen Princip; sei dies einer der Himmelskörper oder eine höhere Substanz, wie man auch Gott bezeichnet als die Natur, welche die Natur in Allem herstellt (natura naturans). Diese Kraft nun richtet sich auf das Beste des All, wonach erfordert wird das Entstehen und Vergehen in den irdisch-stofflichen Dingen. Und danach ist das Vergehen und sind die Mängel an den Dingen der Natur gemäß; freilich nicht gemäß der Hinneigung der Wesensform, die das Princip des Seins und der Vollendung ist, sondern gemäß der Hinneigung des Stoffes, der dem Verhältnisse nach einer bestimmten Form zugeteilt werden muß gemäß der Zuteilung seitens der allgemeinen wirkenden Ursache. Obgleich nun jegliche Form sich darauf richtet, unvergänglich zu sein, soweit sie es vermag; so kann doch keine zur Unvergänglichkeit ihrer selbst gelangen, außer der vernünftigen Seele, weil diese nicht ihrem Wesen nach dem körperlichen Stoffe allseitig unterworfen ist wie die anderen Formen, sondern vielmehr eine ihr eigene unstoffliche Thätigkeit hat, was aus I. Kap. 75, Art. 2 u. Kap. 76, Art. 1 hervorgeht. Also von seiten seiner Wesensform, der vernünftigen Seele, ist dem Menschen Unvergänglichkeit mehr natürlich wie den anderen vergänglichen Dingen. Weil aber auch diese Wesensform zu natürlicher Einheit im Thätigsein mit sich verbunden hat einen aus entgegengesetzten Elementen zusammengesetzten Stoff, so folgt aus der Hinneigung des Stoffes Vergänglichkeit im Ganzen der menschlichen Natur. Von seiten des mit seiner Seele verbundenen Stoffes also ist der Mensch vergänglich gemäß der Natur dieses Stoffes, nicht aber gemäß der Natur seiner Wesensform. Nun gehen die ersten drei der obigen Einwürfe von der Betrachtung des Stoffes aus; die letzten drei von der Betrachtung der Wesensform. Deshalb muß man zu deren Lösung berücksichtigen, daß die Wesensform des Menschen, die vernünftige Seele, im gebührenden Verhältnisse steht zu ihrem letzten Endzwecke, der ewigen Seligkeit, weil sie unvergänglich ist; — der menschliche Körper aber steht einerseits nicht im gebührenden Verhältnisse zu seiner Wesensform und andererseits ist dies wohl der Fall. Denn eine doppelte Seinsbedingung kann in einem bestimmten Stoffe erwogen werden: die eine, welcher gemäß der Stoff vom Wirkenden erwählt wird, um damit thätig zu sein; wie z. B. der Schmied, damit er ein Messer mache, einen harten und dabei biegsamen Stoff auswählt, welcher fein gemacht werden kann, damit er schneiden könne; wonach dann dieser Stoff im gebührenden Verhältnisse steht zum Messer; — die andere, welche auf den natürlichen Seinsbestand des betreffenden Stoffes sich bezieht, gemäß welcher der Stoff nicht erwählt wird vom Wirkenden, z. B. im gegebenen Falle, daß das Eisen seiner natürlichen Seinsbeschaffenheit nach leicht rostet, zerbrechlich ist; wonach das Eisen nicht für die Anfertigung des Messers erwählt wird, wonach man vielmehr es lieber für solchen Zweck verschmähen möchte; und diese Seinsbedingung steht nicht im gebührenden Verhältnisse zum Eisen und zur Absicht des Schmiedes. Ähnlich ist nun der menschliche Körper von der Natur erwählt, damit er der vernünftigen Seele diene, weil seine Komplexion sehr zart ist und das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Bestandteilen genau einhält; danach nämlich ist er sehr geeignet, Werkzeug des Tastsinnes und kraft dessen der übrigen Sinneskräfte zu sein. Daß er aber vergänglich ist, das rührt von der natürlichen Seinsbeschaffenheit des Stoffes her; und danach ist er nicht erwählt von der Natur, vielmehr würde diese lieber einen unvergänglichen Stoff auswählen, wenn sie könnte. Gott aber, dem alle Natur unterworfen ist, hat bei Gründung der menschlichen Natur diesem Mangel abgeholfen und dem Körper kraft der Urgerechtigkeit eine gewisse Unvergänglichkeit gegeben. (Vgl. I. Kap. 97, Art. 1.) Danach also „hat Gott den Tod nicht gemacht“; sondern dieser ist Strafe der Sünde.
