Vierter Artikel. Es muß ein besonderes göttliches Gesetz geben.
a) Dies scheint überflüssig. Denn: I. Das Naturgesetz ist eine Teilnahme am ewigen Gesetze und dieses ist bereits ein göttliches. II. „Gott überließ den Menschen in der Hand seiner Beratung.“ (Ekkli. 15.) Die Beratung aber ist eine Thätigkeit der Vernunft; und die Vorschrift der Vernunft ist das menschliche Gesetz. Also ist ein eigenes göttliches überflüssig. III. Die natürliche Vernunft reicht weiter wie die vernunftlosen Kreaturen, die kein weiteres göttliches Gesetz haben als die ihnen von Natur eingeprägte Hinneigung. Also weit weniger bedarf es eines solchen Gesetzes für die vernünftige Kreatur. Auf der anderen Seite fleht David (Ps. 118): „Gieb mir ein Gesetz, o Herr, als den Weg meiner Rechtfertigungen.“
b) Ich antworte, aus vier Gründen bedürfe der Mensch für die Leitung des menschlichen Lebens eines göttlichen Gesetzes: 1) Der Mensch ist hingeordnet zu einem Zwecke, welcher die Kräfte der menschlichen Natur übersteigt, nämlich zur ewigen Seligkeit. (Kap. 5, Art. 5.) Da also das Gesetz vorhanden ist, um die menschlichen Thätigkeiten zum Zwecke hinzuleiten, so bedarf der Mensch außer des Natur- und des menschlichen Gesetzes noch eines von Gott speciell gegebenen. 2) Das menschliche Urteil ist ungewiß, denn es beschäftigt sich mit Zufälligkeiten und beschränkten Besonderheiten; und so bestehen bezüglich der menschlichen Akte verschiedene Urteile, von welchen verschiedene und einander entgegenstehende Gesetze ausgehen. Damit also der Mensch zweifellos wisse, was er zu thun und was zu lassen habe, mußte er in den ihm eigenen Thätigkeiten geleitet werden durch ein von Gott gegebenes Gesetz, womit kein Irrtum verbunden sein kann. 3) Der Mensch kann nicht urteilen über die innerlichen Akte; und doch wird zur Tugend erfordert, daß er sowohl in diesen wie in den äußeren vollkommen sei. Da also das Gesetz vom Urteilen abhängt, so konnte das menschliche Gesetz nicht genügend ordnen die inneren Akte; und somit bedürfte man dazu eines speciell von Gott gegebenen. Das menschliche Gesetz kann (de. de lib. arb. lib. I. c. 5 et 6) nicht alles Böse, was geschieht, bestrafen; denn wollte es alles Böse entfernen, so würde vieles Gute mithinweggenommen werden und so wäre der Nutzen für das Gemeinwesen gehindert, der notwendig ist zur Aufrechthaltung des menschlichen Geschlechtes. Damit also kein Übel unverboten und ungestraft bliebe, mußte ein göttliches Gesetz sein. Und diese vier Gründe berührt der Psalmist (18): „Das Gesetz Gottes ist unbefleckt, keinerlei Böses erlaubend; „es bekehrt die Seelen,“ denn es geht auf die innerlichen Akte; „das Zeugnis des Herrn ist zuverlässig,“ keinen Zweifel zulassend; „es giebt Weisheit den Kleinen,“ denn es führt den Menschen zum übernatürlichen Zwecke.
c) I. Vermittelst des Naturgesetzes nimmt der Mensch teil am ewigen Gesetze gemäß seiner natürlichen Fassungskraft. Für den übernatürlichen Zweck bedarf es des göttlichen. II. Die Beratschlagung geht von gewissen allgemeinen Principien aus; denn es ist ein Untersuchen. Es genügt aber nicht, daß es von den der Natur eingeprägten Principien ausgeht, nämlich vom Naturgesetze. III. Die vernunftlosen Kreaturen werden nicht zu einem ihre natürlichen Kräfte übersteigenden Zwecke hingeordnet. Also ist da keine Ähnlichkeit.
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