Erster Artikel. Das menschliche Gesetz muß mehr für das Allgemeine aufgestellt werden als bloß für einzelne Fälle.
a) Das Gegenteil wird bewiesen. Denn: I. Aristoteles (5 Ethic. 7.) schreibt: „Gesetzliches nennt man, was für besondere Fälle das Rechte bestimmt; und auch einzelne Aussprüche,“ die also auf einzelne Thätigkeiten gehen. II. Das Gesetz ist die leitende Richtschnur der menschlichen Thätigkeiten, die immer unter einzelnen Umständen sich vollziehen. Ein Gesetz im allgemeinen kann da nicht viel helfen. III. „Das Maß oder die Richtschnur muß im höchsten Grade zuverlässig sein;“ heißt es 10 Metaph. Nichts Allgemeines kann aber im Bereiche des Menschlichen so zuverlässig sein, daß es nicht manchmal mangelte Das Gesetz also muß mehr auf besondere einzelne Fälle berechnet sein. Auf der anderen Seite heißt ein Rechtsgrundsatz (Pomponius et Celsus, lib. 18. lit. 3. ff. et de leg. et sen.): „Gesetze muß man in dem aufstellen, was öfter vorkommt. Was nur sehr selten oder vielleicht in einem einzigen Falle eintreffen kann, dafür wird kein Gesetz gemacht.“
b) Ich antworte; Alles, was um eines Zweckes willen da ist, das muß zu diesem Zwecke im gebührenden Verhältnisse stehen. Der Zweck des Gesetzes aber ist das allgemeine Beste, nach Isidor (l. c. et 5 Etymol. 21). Also zum allgemeinen Besten müssen die Gesetze in gebührendem Verhältnisse stehen. Das allgemeine Beste jedoch setzt sich aus Vielem zusammen und so muß ein Gesetz Vieles berücksichtigen sowohl was Personen als was Geschäfte als was Zeiten anbelangt. Denn viele Personen machen den Staat aus; und sein Bestes erreicht man durch vielfache Handlungen und immer soll das Gesetz dauern. (Augustin. 2. de civ. Dei 21.; 22, 6.)
c) I. Aristoteles nimmt drei Abteilungen im positiven Rechte an. Denn manche Gesetze werden schlechthin im allgemeinen aufgestellt; das sind die allgemeinen Staatsgesetze. Diesbezüglich sagt er: „Gesetzlich ist, was im Anfange indifferent erscheint, ob es so oder anders geschehe; ist es aber einmal verpflichtend, dann hört die Indifferenz auf;“ z. B. also daß „die Gefangenen für einen bestimmten Preis losgekauft werden.“ Andere Gesetze sind einerseits allgemein, andererseits beschränkt auf etwas; wie die Privilegien oder Vorrechte, die auf einzelne Personen gehen und doch viele Angelegenheiten regeln. Und mit Bezug darauf sagt er: „Noch dazu was auch immer für einzelne Personen ein Gesetz macht.“ Endlich nennt man „gesetzlich“ nicht gerade die Gesetze selber, aber die Anwendungen derselben auf besondere Thatsachen; und dies sind die „Aussprüche“, Sentenzen, die als Recht gelten; und deshalb fügt er hinzu: „und Sentenzen.“ II. Was Richtschnur ist, muß Mehreres lenken. Hätte jedes Ding seine eigene Richtschnur, wären also ebenso viele Regeln wie Dinge; da hörte die Nützlichkeit einer Richtschnur auf. „Alle Dinge, die zu einer Seinsart gehören, werden gemessen durch etwas Eines,“ heißt es 10 Metaph. Um einzelne Thätigkeiten als einzelne zu leiten, giebt es allerdings Vorschriften von seiten der Weisen. Das Gesetz aber ist eine allgemeine Vorschrift. III. „Nicht die nämliche Gewißheit muß man in Allem suchen,“ heißt es 1 Ethic. 3. In menschlichen Dingen genügt eine solche Gewißheit, daß etwas wahr sei für die meisten Fälle.
