Erster Artikel. Es giebt eine Gabe der Wissenschaft.
a) Das Gegenteil erhellt, wenn Folgendes erwogen wird: I. Eine Gabe des heiligen Geistes steht immer höher als die Natur. Die Wissenschaft aber ist nur eine Wirkung der natürlichen Vernunft; denn „der Beweis ist ein Syllogismus, der Wissen begründet“ heißt es 1.Poster. II. Die „Gaben“ sind allen im Stande der Gnade Befindlichen gemein sam. (I., II. Kap. 68, Art. 2 u. 6.) „Wissenschaft aber haben nicht viele Gläubigen, wenn sie auch Glauben besitzen“ sagt Augustin. (14. de Trin. 1.) III. Die „Gabe“ ist vollkommener wie die Tugend (I. c. Art. 8.). Eine Gabe also genügt für die Vollendung einer Tugend behufs der geeigneten Thätigkeit. Nun entspricht der Tugend des Glaubens die Gabe des Verständnisses. Also entspricht ihr nicht die Gabe der Wissenschaft; und es ist auch schwer zu sagen, welch anderer Tugend sie entsprechen sollte. Da also die Gaben zur Vollendung der Tugenden dienen behufs der geeigneten Thätigkeit, so ist offenbar die Gabe der Wissenschaft als solche zwecklos und bildet somit gar keine Gabe des heiligen Geistes. Auf der anderen Seite wird sie Isaias 11. unter den Gaben des heiligen Geistes aufgezählt.
b) Ich antworte, die Gnade sei vollendeter wie die Natur. Wo also der Mensch durch die Natur vollendet werden kann, da erweist sie sich nicht mangelhaft. Nun aber wird der Mensch, wenn er kraft der natürlichen Vernunftkraft gemäß seinem Verständnisse einer Wahrheit zustimmt, in zweifacher Weise mit Rücksicht auf diese Wahrheit vollendet: 1. weil er sie auffaßt; 2. weil er ein zuverlässiges Urteil über sie hat. Damit also die menschliche Vernunft der Wahrheit des Glaubens beistimme, wird zweierlei erfordert: 1. daß sie richtig das Gehörte auffaßt; und 2. daß sie ein zuverlässiges Urteil darüber besitzt, indem sie das zu Glaubende unterscheidet vom Nicht-zu-GIaubenden. Behufs des ersten Erfordernisses hat sie die Gabe des Verständnisses, behufs des zweiten die der Wissenschaft.
c) I. Je nach der verschiedenen Seinsweise der betreffenden vernünftigen Natur ist verschieden die Art der Gewißheit in der entsprechenden Kenntnis. Denn der Mensch gewinnt ein sicheres Urteil kraft des Schließens der Vernunft; und deshalb wird menschliche Wissenschaft durch Beweisgründe erworben. Gott aber hat durch einfaches Anschauen seiner selbst das zuverlässig sichere Urteil der Wahrheit. (I. Kap. 14, Art. 7.) Seine Wissenschaft also ist durchaus einfach und ohne Schließen. Und ihr ähnlich ist die Wissenschaft, welche als Gabe des heiligen Geistes bezeichnet wird. II. Einmal muß der Mensch wissen, was er zu glauben hat, und muß er somit unterscheiden das zu Glaubende vom Nicht-zu-Glaubenden. Danach haben alle Heiligen die Gabe der Wissenschaft. Dann giebt es eine Wissenschaft, wonach der Mensch noch des weiteren das zu Glaubende offenbaren, dazu anleiten, es verteidigen kann. Diese Wissenschaft nun ist eine zum Besten anderer verliehene Gnade; und wird nur manchen zu teil. Deshalb sagt Augustin gleich darauf: „Ein Anderes ist es zu wissen, was man zu glauben hat; ein Anderes, zu wissen, wie das Geglaubte den Frommen Beistand leistet und gegen die Gottlosen verteidigt wird.“ III. Die Gaben des heiligen Geistes sind vollendeter wie die moralischen Tugenden und die in der Vernunft; aber nicht vollendeter wie die theologischen Tugenden. Vielmehr haben sie Beziehung zu den letzteren und zu deren Vollendung wie zu ihrem Zwecke. Verschiedene Gaben können deshalb ganz wohl einer einzigen theologischen Tugend dienen.
