Zweiter Artikel. Die Gabe der Wissenschaft berücksichtigt nicht das Göttliche.
a) Das scheint aber. Denn: I. „Durch das Wissen wird der Glaube,“ der sich doch mit göttlichen Dingen befaßt, „erzeugt, genährt, gestärkt und verteidigt“ sagt Augustin. (14. de Trin. 1.) II. Die Gabe der Wissenschaft steht höher wie die erworbenen Wissenschaften, von denen doch eine sich mit göttlichen Dingen befaßt, nämlich die Metaphysik. III. Nach Röm. 1. „wird durch die sichtbaren Dinge, die da gemacht worden, das Unsichtbare Gottes erschlossen.“ Befaßt sich also die Wissenschaft mit den sichtbaren Dingen, dann auch mit den göttlichen. Auf der anderen Seite sagt Augustin (l. c.): „Die Wissenschaft der göttlichen Dinge wird so recht eigentlich Weisheit genannt; der Kenntnis der menschlichen Dinge giebt man den Namen Wissenschaft.“
b) Ich antworte; ein Urteil über eine Sache wird in erster Linie gemäß der Ursache derselben gegeben und somit muß man gemäß der Ordnung in den Ursachen die Ordnung in den Urteilen ersehen. Wie nämlich die erste Ursache die Ursache der untergeordneten ist, so wird über die ungeordnete geurteilt kraft der ersten. Über die erste Ursache aber kann man nicht urteilen vermittelst einer anderen Ursache. Also ist das Urteil, welches kraft der ersten Ursache gefällt wird, das erste und vollkommenste. Im Bereiche dessen aber, wo etwas das Vollkommenste ist, wird der gemeinsame Name der Art angeeignet dem, was vom Vollkommensein vielmehr absteht; dem Vollkommensten selbst wird ein specieller Name zugeeignet; wie wir dies bei den Engeln z. B. sehen, wo der gemeinsame Namen dem niedrigsten Chöre, also dem mindest vollkommenen, als Eigenname beigelegt wird. Weil nun der Name „Wissenschaft“ die Gewißheit eines Urteils einschließt, so erhält das Urteil, welches kraft der ersten Ursache Gewißheit in sich hat, einen speciellen Namen, den der Weisheit. Denn weise wird in jedem Seinsbereiche derjenige genannt, welcher die höchste Ursache in jenem Seinsbereiche kennt und danach urteilt. Weise aber schlechthin, ohne Einschränkung heißt jener, der die schlechthin höchste Ursache kennt, nämlich Gott. Die Kenntnis der göttlichen Dinge also nennt man Weisheit; die Kenntnis der menschlichen nennt man Wissenschaft, wo der gemeinsame Name, welcher „Gewißheit“ besagt, dem Urteile zugeeignet wird, welches sich auf untergeordnete Ursachen stützt. Danach wird also unterschieden die Gabe der Wissenschaft von jener der Weisheit; denn sie befaßt sich nur mit menschlichen oder geschaffenen Dingen.
c) I. Der Glaube erstreckt sich auf Ewiges und Göttliches; er selbst aber ist etwas Zeitliches in der Seele des Glaubenden. Zu wissen also, was man glauben soll, gehört der Gabe der Wissenschaft an; zu wissen aber die geglaubten Sachen in ihrem eigenen Sein, wie sie sind, nämlich vermittelst einer gewissen Einigung mit selben, gehört der Gabe der Weisheit an. Die Gabe der Weisheit also entspricht mehr der Liebe, welche den Menschengeist mit Gott eint. II. Die Gabe der Wissenschaft besteht insoweit, als ihre Aufgabe beschränkt wird auf das Urteil, welches vermittelst der geschöpflichen Dinge gefällt wird. III. Sofern das, was in einer Wissenschaft Formalgrund ist, die leitende Stelle einnimmt, gehört es, wenn der Mensch vermittelst der geschaffenen Dinge Gott erkennt, vielmehr zur Wissenschaft als zur Weisheit; — und umgekehrt wenn wir vermittelst der göttlichen Dinge und Gründe urteilen über die Geschöpfe, so ist dies mehr Weisheit wie Wissenschaft.
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