Vierter Artikel. Der Friede ist keine Tugend.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. Die Gebote werden nur rücksichtlich der Tugenden gegeben. Es heißt aber: „Frieden sollt ihr haben.“ (Mark. 9.) II. Nur durch Tugendakte verdienen wir bei Gott. Matth. 5. aber heißt es: „Selig die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“ III. Gal. 5. wird die Zwietracht unter den Lastern genannt. Also ist der Friede eine Tugend. Auf der anderen Seite ist die Tugend nicht der letzte Endzweck, sondern der Weg dazu. Der Friede aber ist gewissermaßen der letzte Endzweck, nach Augustin. (19. de civ. Dei 11.)
b) Ich antworte, alle Thätigkeiten, die sich, immer unter dem nämlichen Gesichtspunkte, einander folgen, gehören zu ein und derselben Tugend. So z. B. wärmt das Feuer im Bereiche des Körperlichen und verdünnt; und doch ist im Feuer es nicht eine andere Kraft, die auflöst, und eine andere, die verdünnt; sondern es ist immer die eine nämliche. Der Friede aber wird von der Liebe verursacht unter dem Gesichtspunkte der Liebe Gottes und des Nächsten. Also ist er ähnlich wie die Freude ein und dieselbe Tugend wie die Liebe.
c) I. Der Frieden ist eine Thätigkeit der Liebe. Deshalb wird darüber eine Vorschrift gegeben und ist er verdienstvoll; und weil er ein gewisses geistig angenehmes Endgut ist, gehört er zu den Früchten. Damit ist II. beantwortet. III. Einer einigen Tugend stehen mehrere Laster entgegen, je nachdem gegen eine einzelne Thätigkeit der Tugend die Sünde sich richtet. Und danach steht der Liebe entgegen auf Grund des Aktes der Liebe der Haß; auf Grund der Freude die geistige Trauer oder der Neid; auf Grund der Liebe die Zwietracht.
