Erster Artikel. Die Wohlthätigkeit ist ein Akt der Liebe.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die heilige Liebe richtet sich auf Gott. Gott gegenüber können wir aber nicht wohlthätig sein, nach Job 35.: „Was wirst du ihm geben? Oder was wird Er von deiner Hand empfangen?“ II. Die Wohlthätigkeit besteht im Geschenkegeben. Dies gehört aber zur Freigebigkeit. III. Entweder ist was gegeben wird geschuldet; und da ist es Gerechtigkeit; — oder es ist nicht geschuldet; und da ist es Barmherzigkeit. Also giebt es keinen Platz für die Wohlthätigkeit. Auf der anderen Seite ist die heilige Liebe eine gewisse Freundschaft. Ein Akt der Freundschaft aber ist es „Gutes wirken gegenüber seinen Freunden“, nach 9 Ethic. 4.
b) Ich antworte, Wohlthätigkeit schließe in sich ein „wohlthun einem anderen.“ Dieses Wohl oder Gut nun hat entweder den allgemeinen Charakter des Guten; und so gehört es zum Wesen der Wohlthätigkeit, da in der Freundesliebe das Wohlwollen eingeschlossen ist und daraus folgt, daß, sobald die Gelegenheit gegeben ist, man auch das thut, was man will; — oder es hat dieses Wohl oder Gut den Charakter eines besonderen Gutes; und so gewinnt die Wohlthätigkeit eine besondere Seite und gehört einer eigenen besonderen Tugend an.
c) I. Nach Dionysius (de div. nom. 4.) „bestimmt die Liebe zu wechselseitiger Beziehung, sie wendet das Niedrigere zum Höheren, damit es da vollendet werde; und das Höhere zum Niedrigeren, damit für das Letztere gesorgt werde.“ Und danach ist die Wohlthätigkeit eine Wirkung der Liebe. Gott also müssen wir ehren durch unsere Unterwürfigkeit; und die Sache Gottes ist es, kraft seiner Liebe uns wohlzuthun. II. Wird die innere Leidenschaft beachtet, der gemäß ein Geschenk gegeben wird, so gehört es der Freigebigkeit an, die entsprechende innere Leidenschaft zu regeln, daß nämlich jemand nicht zu sehr den Reichtum begehrt und liebt. Wenn also der Mensch ein großes Geschenk giebt, aber ungern, mit der Begierde es zu behalten; so ist dies gegen die Freigebigkeit. Von seiten der äußeren Mitteilung eines Geschenkes aber, gehört dies der Freundschaft als Thätigkeit an. Giebt also jemand etwas, was er gern zu behalten wünschte, so ist dies nicht gegen die Freundschaft, sondern offenbart deren Innigkeit. III. Die Liebe oder Freundschaft berücksichtigt in der verliehenen Gabe den allgemeinen Charakter des Guten; die Gerechtigkeit den besonderen Charakter des Geschuldeten; und die Barmherzigkeit den besonderen Charakter eines Gutes, das aus dem Elende erhebt oder dem Mangel abhilft.
