Vierter Artikel. Die Wohlthätigkeit ist keine eigene besondere Tugend.
a) Dies scheint aber der Fall zu sein. Denn: I. Die Gebote werden mit Rücksicht auf Tugenden gegeben; die Gesetzgeber nämlich wollen die Menschen zu guten machen. Matth. 5. aber wird gesagt: „Liebet euere Feinde; thut Gutes denen, die euch hassen.“ Also ist das Wohlthun eine Tugend. II. Der Wohlthätigkeit stehen mehrere besondere Laster gegenüber, welche dem Nächsten Schaden thun, wie der Raub, der Diebstahl etec. Also ist dem Nächsten Wohlthun eine Tugend. III. Die heilige Liebe teilt sich nicht in mehrere Untergattungen. Dies ist aber bei der Wohlthätigkeit der Fall, die nach den verschiedenen Gattungen von Wohlthaten in verschiedene Unterabteilungen zerfällt. Auf der anderen Seite unterscheidet sich das Wohlthun vom Wohlwollen nur wie der äußere Akt vom inneren; das macht aber keinen Unterschied in der Tugendgattung. Wie also das Wohlwollen keine andere Tugend ist als die heilige Liebe selber, so verhält es sich auch mit dem Wohlthun.
b) Ich antworte, der Gegenstand sowohl für die heilige Liebe wie für das Wohlthun sei der gleiche; nämlich das Gute im allgemeinen. Also ist das Wohlthun nur eine äußere Thätigkeit der Liebe und keine besondere Tugend.
c) I. Gebote wurden gegeben nicht mit Rücksicht auf die inneren Tugendzustände, sondern mit Rücksicht auf die Tugendakte; und so hängt ihre Verschiedenheit von der Verschiedenheit der Tugendakte ab. II. Alle Wohlthaten, die man dem Menschen unter dem Gesichtspunkte des allgemeinen Guten erweist, führen sich zurück auf die Liebe; und umgekehrt aller Schaden, den man ihm zufügt unter dem Gesichtspunkte des Übels im allgemeinen, läßt sich zurückführen auf den Haß. Nur insoweit der Charakter eines besonderen Gutes oder eines besonderen Übels in Frage kommt, bestehen da verschiedene Tugenden und Laster; und danach sind dann auch verschiedene Gattungen von Wohlthun. III. Ist damit beantwortet.
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