Zweiter Artikel. Das Wohlthun erstreckt sich auf alle.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. „Allen können wir nicht nützlich sein“ sagt Augustin I. de doctr. christ. 28. II. „Gieb dem Guten und nimm nicht auf den Sünder“ heißt es Ekkle. 12. Viele Menschen aber sind Sünder. III. „Die Liebe thut nichts Schlimmes“ 1. Kor. 13. Manchen aber, z. B. den Staatsfeinden, wohlthun hieße Schlimmes thun. Auf der anderen Seite sagt Paulus (Galat. ult.): „Solang wir Zeit haben, thun wir allen Gutes.“
b) Ich antworte, das Wohlthun folge der Liebe, soweit diese für die niedrigeren sorgt. Nun sind die Seinsstufen unter den Menschen nicht unveränderlich wie bei den Engeln. Wer also höher steht nach einer Seite hin, kann nach einer anderen Seite hin tiefer stehen wie ein anderer. Also kann die Wohlthätigkeit, ebenso wie die Liebe, sich auf alle erstrecken; freilich unter Berücksichtigung von Art und Zeit. Denn alle Tugendakte sind begrenzt durch die Umstände.
c) I. Allerdings können wir der Thatsächlichkeit nach nicht allen Gutes thun. Aber es giebt keinen Menschen, der nicht in die Lage kommen kann, daß er auf die Wohlthätigkeit angewiesen sei. Immer also muß unser Herz bereit sein, allen, wer auch immer es sei, wohlzuthun. Manche Wohlthaten können wir aber auch, mindestens im allgemeinen, allen erweisen, wie wenn wir beten für die Gläubigen und Ungläubigen. II. Soweit die Erhaltung der Natur im Sünder in Betracht kommt, muß man ihm beistehen; nicht aber darf man seiner Schuld Nahrung zuführen, dies wäre Übles thun. III. Ebenso muß man Staatsfeinden und Exkommunizierten Beistand versagen, insoweit sie dadurch in der Schuld bestärkt werden. In rein körperlichen Bedürfnissen aber, z. B. wenn sie Hunger und Durst leiden, muß man ihnen helfen.
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