Vierter Artikel. Der Neid ist eine Hauptsünde.
a) Das wird mit folgenden Gründen bestritten: I. Der Neid ist das Kind der eitlen Ruhmgier; denn „die ehrsüchtigen sind in höherem Grade neidisch.“ (Aristot. 2 Rhet. 10.) Also ist er keine Hauptsünde. II. Die Hauptsünden scheinen in gewisser Beziehung nicht so schwer zu sein wie die aus ihnen abgeleiteten. Denn Gregor schreibt (31. moral. 17.): „Die ersten Laster schmiegen sich in den getäuschten Geist wie unter der Hülle einer gewissen Vernünftigkeit ein; die aber folgen ziehen den Geist zu aller möglichen Thorheit und verwirren ihn wie mit tierischem Geschrei.“ Nun ist aber der Neid eine im höchsten Grade schwere Sünde. Denn 5. moral. 31. sagt derselbe Gregor: „Obwohl der alte Feind vermittelst eines jeden Lasters sein Gift in die Seele gießt; in dieser Bosheit des Neides aber schüttelt die Schlange all ihre Eingeweide heraus und speit aus die Pest der in die Seele dringenden Ruchlosigkeit.“ Also ist der Neid keine Hauptsünde. III. Gregor scheint unzulässigerweise die Kinder des Neides anzugeben (31. moral. 17.): „Haß, Nachrede, Murren, Jubel beim Unglücke des Nächsten, Betrübnis über sein Glück.“ Denn die letzteren beiden sind eben dasselbe wie der Neid selber. Auf der anderen Seite steht die Autorität Gregors.
b) Ich antworte, wie die geistige Trauer zum Gegenstande habe das göttliche Gut, so der Neid das im Nächsten befindliche Gute. In derselben Weise wie jene also eine Hauptsünde ist, insoweit der Mensch angetrieben wird etwas zu thun, um die Trauer zu vermeiden oder sie zu befriedigen; — verhält es sich auch mit diesem, mit dem Neide.
c) I. Gregor schreibt (31. moral. 17.): „Die Hauptsünden sind durch so nahe Verwandtschaft miteinander verbunden, daß die eine nur aus der anderen entsteht. Denn der erste Sprosse des Stolzes ist die eitle Ruhmgier; und diese erzeugt, während sie den von ihr gedrückten Geist verdirbt, alsbald den Neid. Weil sie nämlich die Anerkennung eines eitlen Namens erstrebt, schwindet sie vor Gram hin, damit diese Anerkennung nicht ein anderer erlange.“ Gegen den Wesenscharakter einer Hauptsünde also ist es nicht, daß sie aus einer anderen entstehe. Nur das wäre gegen ihr Wesen, wenn es ihr nicht zukäme, andere Gattungen Sünde aus sich heraus zu erzeugen. Weil aber der Neid offenbar aus der eitlen Ruhmbegierde entsteht; deshalb wohl betrachten ihn weder Isidor noch Kassian als Hauptsünde. II. Aus dieser Stelle wird nicht erschlossen, daß der Neid die größte der Sünden sei, sondern daß, wenn der Teufel Neid einflößt, er den Menschen zu dem hinleitet, was in seinem eigenen (des Teufels) Herzen die Hauptstelle einnimmt. Denn nach Sap. 2. „ist durch den Neid des Teufels der Tod in die Welt getreten.“ Unter den schwersten Sünden freilich findet sich ein gewisser Neid, der Schmerz nämlich über das Wachsen der Gnade im Bruder; und dieser Neid zählt dann auch zu den Sünden wider den heiligen Geist, weil dadurch der Mensch gewissermaßen den heiligen Geist beneidet, der in seinen Werken herrlich ist. III. Im Vorgehen des Neides ist etwas wie Anfang, Anderes wie Mitte, und ein Drittes wie Abschluß. Der Anfang ist, daß jemand das Ansehen des anderen vermindert entweder insgeheim durch „Murren“ oder offen durch „üble Nachrede.“ Die Mitte ist, daß jemand seine Absicht, das Ansehen des anderen zu schmälern, ausführen kann oder nicht, wonach er „jubelt“ oder „betrübt“ ist. Der Abschluß ist der „Haß“ selber; denn wie das Gut, welches ergötzt, Liebe verursacht, so die Trauer Haß. Die Trauer aber über das Gute im Nächsten ist in einer Weise der Neid selber, insoweit nämlich jemand darüber trauert als über die Vermehrung des Ansehens des Nächsten; sie ist dann Kind des Neides, soweit es dem Nächsten gut geht gegen die Anstrengung des neidischen, der dieses Glück hindern will. Der Jubel im Unglück des Nächsten ist aber nicht der Neid selber, sondern folgt aus ihm. Jetzt sind zu erwägen die Sünden, die dem Frieden entgegengesetzt sind, und zwar 1. die Zwietracht, die im Herzen ist; 2. der Widerspruch, der im Munde ist; 3. die Spaltung, der Streit, der Krieg, die Empörung, was Alles im Werte besteht.
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