Zweiter Artikel. Der Unglaube ist eine schwerere Sünde wie das Schisma.
a) Das Umgekehrte scheint wahr zu sein. Denn: I. Nach der Strafe kann man die Größe der Sünde ermessen. Die Sünde des Schisma aber wird schwerer gestraft von Gott wie die des Unglaubens. Denn Exod. 32. wird gelesen, die zum Götzendienste abgefallenen seien mit dem Schwerte getötet worden; vom Schisma aber heißt es Num. 16.: „Wenn der Herr etwas Neues thut, daß die Erde sich öffnet und die Betreffenden verschlingt sowie Alles was ihnen gehört, und sie lebend in die Hölle hinabsinken, so sollt ihr wissen, sie haben Gott den Herrn gelästert.“ Auch die zehn Stämme, die vom Reiche Davids sich durch ein Schisma getrennt hatten, wurden sehr schwer gestraft. (4. Kön. 17.) II. „Das Beste der Menge steht höher wie das eines einzelnen,“ sagt Aristoteles. (1 Ethic. 2.) Das Schisma aber ist gegen das Beste der Menge, nämlich gegen die kirchliche Einheit gerichtet; der Unglaube gegen das Beste des einzelnen, denn der Glaube gehört jedem für sich an. III. Das Schisma steht entgegen der heiligen Liebe, einer größeren Tugend nämlich wie es der Glaube ist. Auf der anderen Seite steht höher sowohl im Guten wie im Bösen das, was sich zum Anderen als Zusatz verhält. Die Häresie aber fügt zum Schisma die verkehrte Lehre hinzu, wie oben Hieronymus sagte. Also ist sie eine größere Sünde.
b) Ich antworte, die Schwere einer Sünde hänge ab von ihrer Gattung und von den Umständen. Die Umstände aber können im einzelnen in endloser Weise wechseln; also muß die Schwere einer Sünde an sich beurteilt werden nach ihrer „Art“ und Gattung. Diese nun hängt vom Gegenstande ab. Jene Sünde also wird größer sein, die einem höheren Gute entgegensteht. Nun richtet sich der Unglaube gegen Gott selbst, insoweit Gott die erste Wahrheit ist; das Schisma aber gegen die kirchliche Einheit, welche ein mitgeteiltes Gut ist, geringer als das göttliche Gut. Also ist an sich die Sünde des Unglaubens schwerer; wenn auch ein einzelner Schismatiker wegen der größeren Verachtung, die er gegen die kirchliche Einheit hegt oder wegen der größeren Gefahr, die er heraufbeschwört, oder aus ähnlichen äußeren Gründen schwerer sündigen kann wie ein einzelner Ungläubiger.
c) I. Jenes Volk wußte bereits durch das Gesetz, es sei nur ein Gott und vielfache Zeichen hatten diesen Glauben befestigt. Deshalb war es nicht notwendig, Götzendiener durch besonders Eindruck machende, ungewöhnliche Strafen zu züchtigen. Nicht aber war es im gleichen Maße ihm klar, daß Moses immer ihr Führer sein sollte; und deshalb mußten aufrührerische gegen dessen Autorität in ungewöhnlicher Weise gestraft werden. Oder das Schisma wurde in diesem Volke, weil es immer bereit war zum Murren und zu Aufständen, strenger bestraft; nach Esdr. 1, 4.: „Jene Stadt (Jerusalem) macht von alters her gegen die Könige Aufruhr.“ Eine größere Strafe aber wird bisweilen aufgelegt für eine Sünde, an die man mehr gewöhnt ist; da die Strafen Heilmittel sind. Die zehn Stämme wurden zudem auch für die Götzendienern bestraft (l. c.). II. Das Beste der Menge ist wohl größer wie das eines einzelnen; aber minder wie das außen befindliche Gut, zu dem es als zu seinem Zwecke hingeordnet ist, wie das Gut der Ordnung im Heere geringer ist wie das Gut des Feldherrn oder des Staates, dem diese Ordnung dient. Und so ist das Gut der kirchlichen Einheit, dem das Schisma entgegensteht, geringer wie das göttliche Gut, dem der Unglaube widersteht. III. Die Liebe hat zum Hauptgegenstande das göttliche Gut, zum untergeordneten das Beste des Nächsten. Das Schisma und alle anderen gegen den Nächsten begangenen Sünden sind nun entgegen der Liebe im zweiten Sinne. Deshalb ist der Unglaube, der unmittelbar gegen Gott geht, eine schwerere Sünde wie das Schisma; der Haß Gottes aber, der gegen die Liebe geht, insoweit sie Gott zum Gegenstande hat, ist schwerer wie der Unglaube. Unter den Sünden gegen den Nächsten aber ist das Schisma die größte, denn es richtet sich gegen das geistige Beste der Menge.
