Dritter Artikel. Ist Kein Ankläger da, so darf der Richter nicht verurteilen.
a) Dem steht entgegen: I. Gott urteilt über die Sünder, wenn auch kein Ankläger da ist. Ihm aber muß die menschliche Gerechtigkeit folgen. II. Der Ankläger verfolgt nur den Zweck, das betreffende Vergehen vor den Richter zu bringen. Dieser letztere kann aber auf einem anderen Wege zu dessen Kenntnis kommen. Also bedarf es dann keines Anklägers. III. Die Thatsachen, welche in der Schrift sich finden, sollen für uns Regel und Richtschnur sein. Daniel aber war nach Dan. 13. in ein und derselben Person Ankläger und Richter gegenüber den Ältesten. Auf der anderen Seite bemerkt Ambrosius zu 1. Kor. 5. (Et vos inflati): „Sache des Richters ist es nicht, ohne Ankläger zu verurteilen; denn der Herr selbst hat den Judas, der ein Dieb war, weil niemand ihn anklagte, auch nicht von Sich entfernt.“
b) Ich antworte, der Richter solle nach 5 Ethic. 4. wie eine lebendige Gerechtigkeit sein. Der Gerechtigkeit aber ist es eigen, nicht auf die eigene Person Beziehung zu haben, sondern auf eine andere. Und also muß der Richter immer entscheiden zwischen zweien, von denen der eine der Ankläger, der andere der schuldige ist. Es kann sonach gerichtlich der Richter niemanden verurteilen, den keiner anklagt. Deshalb heißt es Act. 25.: „Die Römer haben nicht diese Gewohnheit, einen Menschen zu verurteilen, ehe der beklagte sich gegenüber seine Ankläger hat und Gelegenheit erhält, sich zu verteidigen.“
c) I. Gott bedient sich in seinem Urteile wie eines Anklägers des Gewissens im Sünder, nach Röm. 2, 15.: „Die Gedanken klagen sich untereinander an oder auch verteidigen sie sich;“ — oder der offen vorliegendenThat, wie Gen. 4.: „Die Stimme des Blutes deines Bruders Abel schreit zu mir um Rache.“ II. Die öffentliche Kenntnis kann an die Stelle des Anklägers treten, wie hier Gen. 4, 10., wozu die Glosse bemerkt: „Die offenkundige That bedarf keines Anklägers.“ Wird aber ein Verbrechen dem Richter bekannt durch Anzeige auf privatem Wege, so wird dabei nicht die Bestrafung des Sünders beabsichtigt, sondern seine Besserung; und somit geschieht da nichts gegen denjenigen, dessen Sünde berichtet wird, sondern dies ist für ihn, und sonach bedarf es keines Anklägers. Sieht der Richter aber selbst das Vergehen, so kann er nicht daraufhin ein Urteil sprechen, sondern muß der Rechtsordnung folgen, welche einen öffentlichen Ankläger vorsieht. III. Gott stützt sich in seinem Urteile auf die ihm allein eigene Kenntnis der Wahrheit, was beim Menschen nicht der Fall ist; und danach kann Gott wohl Ankläger und Zeuge und Richter sein, nicht aber der Mensch. Daniel nun war als ausführendes Werkzeug Gottes Ankläger und Richter.
