Zweiter Artikel. Dem angeklagten steht es nicht frei, sich in verleumderischer Weise zu verteidigen.
a) Das Gegenteil wird erwiesen: I. Nach dem bürgerlichen Rechte (L. Transigere c. de Transactionibus) kann der beklagte, wenn es sich um sein Leben handelt, seinen Gegner bestechen. Das ist aber der höchste Grad einer verleumderischen Verteidigung. II. Wenn der Ankläger mit dem beklagten unter einer Decke steckt, so erhält der erstere die von den Gesetzen bestimmte Strafe, nach 2 Qq. 3. cap. Si quem.… Dem beklagten aber wird in diesem Falle keine Strafe gegeben. Also ist es diesem erlaubt, sich in verleumderischer Weise zu verteidigen. III. Prov. 14. heißt es: „Der Weise fürchtet und weicht dem Übel aus; der Thor aber springt sorglos darüber hinweg.“ Was aber kraft der Weisheit geschieht, das ist keine Sünde. Also kann jemand, wie auch immer, dem Übel ausweichen. Auf der anderen Seite muß in einer Kriminalsache rücksichtlich der verleumderischen Art sich zu verteidigen, ein Eid geleistet werden (extra de juramento calumniae cap. Inhaerentes). Also ist es nicht erlaubt, in verleumderischer Weise sich zu verteidigen.
b) Ich antworte, etwas Anderes sei es: die Wahrheit verschweigen; und etwas Anderes: Falsches vorbringen. Das Erstere ist bisweilen erlaubt. Denn nur das hat man nach aller Wahrheit zu beantworten, was der Richter mit Recht fragen darf und muß; z. B. wenn bereits das betreffende begangene Verbrechen bekannt geworden und somit die öffentliche Ehre des beklagten bereits gelitten hat; oder wenn ausdrückliche Anzeichen des Verbrechens vorliegen oder der Beweis schon halb erbracht ist. Falsches aber aussagen ist niemals erlaubt. Nun kann zu dem. was erlaubt ist, jemand sich wenden entweder auf erlaubten und zweckentsprechenden Wegen, was zur Klugheit gehört; oder auf unerlaubten und dem Zwecke nicht entsprechenden Wegen, was zur Schlauheit gehört und mit Lug und Trug ausgeführt wird. So kann also lobenswerterweise der angeklagte die Wahrheit, die zu bekennen er nicht gehalten ist, durch angemessene Mittel verbergen, z. B. indem er nicht antwortet, wo eine Antwort nicht Pflicht ist. Das ist: mit Klugheit dem Übel entgehen. Er darf aber nichts Falsches sagen und nicht die Wahrheit verbergen, die zu bekennen er verpflichtet ist, und auch nicht List und Trug gebrauchen, was so ziemlich der Lüge gleichkommt; — das wäre: sich verleumderischerweise verteidigen.
c) I. Manches Sündhafte, wie z. B. die einfache Unkeuschheit, läßt das menschliche Gesetz unbestraft, was vom göttlichen Gesetze gestraft wird. Denn das erstere verlangt keine allseitige Tugend, die ja bei so vielen nicht gefunden werden kann. Daß aber jemand keine Sünde begehen will, um dem körperlichen Tode zu entgehen, ist vollkommene Tugend; denn „das im höchsten Grade Schreckliche unter allen schrecklichen Dingen ist der Tod.“ (3 Ethic. 6.) Wenn also in einem Prozesse, wo es sich um sein Leben handelt, der schuldige seinen Gegner besticht, sündigt er wohl, da er diesen zu etwas Unerlaubtem verleitet; aber das bürgerliche Gesetz hat dafür keine Strafe und insoweit wird dies „erlaubt“ genannt. II. Wie der Anklager, der mit dem verderbenden schuldigen unter einer Decke spielt, Strafe erhält und also sündigt; so sündigt auch der schuldige, der den Ankläger zu dieser Sünde verleitet oder sich von diesem verleiten läßt, nach Röm. 1.: „Nicht sie allein sündigen, sondern auch jene, die ihnen zustimmen.“ Das menschliche Gesetz nur hat für den letzteren keine Strafe festgesetzt. III. Der Weise vermeidet das Übel in kluger Weise.
