Erster Artikel. Die Schmähung besteht in Worten.
a) Das wird geleugnet. Denn: I. Die Schmähung schließt einen Schaden für den Nächsten ein. Worte aber schaden niemandem. II. Die Schmähung ist eine gewisse Verunehrung. Diese aber folgt mehr Thaten wie Worten. III. Die Verunehrung, welche aus Worten folgt, wird vielmehr „Schande“ genannt oder „Vorwurf“. Also besteht die Schmähung nicht in Worten. Auf der anderen Seite heißt es bei Jeremias 20.: „Ich hörte die Schmähungen ringsum.“
b) Ich antworte, Schmähung schließe ein in sich eine gewisse Verunehrung. Da nun die Ehre immer einem irgendwelchen hervorragenden Vorzuge folgt, so verunehrt jemand den anderen zuvörderst, wenn er ihn jenes hervorragenden Vorzuges beraubt, infolge dessen er die Ehre genoß; und das geschieht durch sündige Thaten. (Kap. 64, 65, 66.) Dann verunehrt jemand den anderen, indem er das, was gegen die Ehre dieses letzteren ist, zur Kenntnis anderer bringt; und das ist eigentlich Schmähung, die sich dann durch gewisse Zeichen vollzieht. Da nun „alle Zeichen im Vergleiche mit den Worten höchst unbedeutend und gering sind, denn die Worte bezeichnen an erster Stelle, was im Herzen des Menschen sich findet“ (Aug. II. de doct. christ. 3.), so besteht die Schmähung so recht eigentlich in Worten, so daß Isidor (10 Etymol. C.) sagt: „Schmähsüchtig wird jemand genannt, weil er unüberlegt ist und reich an beleidigenden Worten.“ Weil aber auch Werke derartige Zeichen sein können, so „sind schmähsüchtig auch jene, welche in Thaten und nicht nur in Worten andere verunehren.“ (Glosse zu Röm. 1.)
c) I. Ihrem Wesen nach thun Worte niemandem Schaden, außer daß sie, wenn zu laut gesprochen, das Ohr beschweren. Ihrer Bedeutung nach aber thun sie viel Schaden; und darin ist einer eben der, daß sie den anderen beschädigen in seiner Ehre oder in der ihm geschuldeten Achtung. Und sonach ist die Schmähung größer, wenn jemand vor vielen dem anderen seinen Fehler vorwirft; jedoch kann auch Schmähung vorliegen, wenn er ihm allein denselben sagt, insoweit nämlich derjenige, welcher spricht, in ungerechter Weise gegen die Achtung handelt, die er dem anderen schuldet. II. Mit Thaten verunehrt jemand den anderen, insoweit diese Thaten entweder ein Unrecht gegenüber dem anderen thatsächlich einschließen oder etwas gegen dessen Ehre bezeichnen. Im ersten Falle haben wir jene Arten Ungerechtigkeit, über welche Kap. 64, 65, 66 gehandelt worden; im zweiten Falle handelt es sich um Schmähungen. III. Der „Vorwurf“ und die „Schande“ bestehen in Worten wie auch die Schmähung; durch all dies wird in jemandem ein Mangel dargestellt, der dessen Ehre schädigt. Ein derartiger Mangel ist nun dreifach: 1. der Mangel, welcher in der Schuld begründet ist und dieser wird dargestellt durch Schmähworte; — 2. der Mangel, welcher in Schuld und Strafe zusammen begründet ist und der also nicht nur in der Seele, sondern auch im Körper sich kundgiebt; und dieser wird ausgedrückt durch die Schande, wie wenn jemand den anderen in beleidigender Weise „blind“ nennt, er eine Schande desselben ausdrücken will; nennt er ihn aber „Dieb“, so schmäht er zugleich und deckt eine Schande desselben auf; — 3. der Mangel, welcher in einer gewissen Bedürftigkeit beruht, der da ebenfalls der Ehre schadet, die ja hervorragenden Vorzügen folgt; und dieser Mangel wird ausgedrückt durch den Vorwurf, wenn jemand einem den Beistand ins Gedächtnis zurückruft, den er im Falle der Not ihm geleistet hat. Mit Bezug darauf heißt es Ekkli. 20.: „Geringes wird er geben und oftmals wird er es vorwerfen.“
