Dritter Artikel. Die gegen die eigene Person gerichteten Schmähungen soll man ertragen.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Ein solches Ertragen nährt nur die Vermessenheit des schmähenden, was unstatthaft ist. II. Der Mensch muß sich in höherem Grade lieben wie den Nächsten. Er soll aber nicht es ruhig ertragen, daß man den anderen schmäht, nach Prov. 26.: „Der dem Thoren Stillschweigen auflegt, besänftigt den Zorn.“ Also soll er auch nicht die gegen die eigene Person gerichteten Schmähungen geduldig tragen. III. Niemand soll sich selbst rächen, nach Röm. 12.: „Mir ist die Rache und ich will vergelten.“ Chrysostomus aber (hom. 22. in ep ad Rom.) sagt: „Willst du dich rächen, so schweige; und du hast ihm eine peinliche Strafe gegeben.“ Auf der anderen Seite heißt es Ps. 37.: „Die nach Üblem gegen mich suchten, haben Eitles gesprochen…, ich aber hörte nicht wie ein tauber; und wie ein stummer habe ich meinen Mund nicht geöffnet.“
b) Ich antworte, die Geduld sei nötig sowohl in dem, was gegen uns gethan, als auch in dem, was gegen uns gesprochen wird. Die Gabe der Geduld jedoch, wie z. B.: „Wenn man dich auf die eine Wange schlö so reiche die andere hin,“ sind nach Augustin festzuhalten mit Rücksicht auf innere Bereitwilligkeit (1. de serm. Dom. 10.), daß nämlich der Mensch dazu bereit sei, wenn es notwendig ist; nicht aber ist er immer zur thatsächlichen Beobachtung gehalten. Letzteres that selbst der Herr nicht, den als Ihm der Knecht einen Schlag ins Gesicht gegeben hatte, sprach: „Was schlägst du mich?“ Wir müssen also immer im Geiste bereit sein, Schmähungen ohne Widerrede zu ertragen, sobald dies heilsam erscheint. Bisweiler müssen wir aber auch der Schmähung Widerstand leisten; nämlich 1. weger des Nutzens desjenigen, der schmäht, nach Prov. 26.: „Antworte dem Thoren gemäß seiner Thorheit, damit er sich nicht weise vorkomme;“ — 2. wegern des Nutzens vieler anderer, deren geistiger Fortschritt wegen der gegen uns gerichteten Schmähungen gehindert wird. Darüber sagt Gregor (hom. in Ezech.): „Jene, deren Leben ein Beispiel zur Nachahmung sein soll, müssen, falls sie es können, die Worte der schmähenden zügeln, damit nicht wegen ihrer Schmähungen jene, welche auf sie hören wollten, nun verweigern, zu hören, und sie so ihren bösen Sitten überlassen das tugendhafte Leben verachten.“
c) I. Mit Maß und aus Nächstenliebe kann man die Vermessenheit des schmähenden zügeln; nicht aus Liebe zur persönlichen Ehre. Deshalb heißt es Prov. 26.: „Antworte dem Thoren nicht gemäß seiner Thorheit, damit du nicht ihm ähnlich werdest.“ II. Wenn jemand die anderen angethaenen Schmähungen zurückweist; so braucht er nicht so sehr zu fürchten, daß Eigenliebe sich hineinmischt, als wenn er den ihm selber angethaenen Schmähungen entgegentritt. III. Wenn jemand durch sein Schweigen den schmähenden zum Zorne reizen will, so ist das Rache. Wenn aber jemand schweigt, damit er der Zorne des anderen Raum gebe, so ist das lobenswert; nach Ekkli. 8.: Streite nicht mit einem zungenfertigen Menschen und werfe nicht Holz in sein Feuer.
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