Vierter Artikel. Die Schmähung kommt aus dem Zorne.
a) Das ist nicht der Fall. Denn: I. Prov. 11. heißt es: „Wo Hochmut ist, da ist Schmähung;“ also kommt letztere nicht vom Zorne. II. Prov. 20. heißt es: „Alle Thoren mischen sich in Schmähungen.“ Die Thorheit aber steht entgegen der Weisheit, während der Zorn gegenübersteht der Sanftmut. III. Keine Sünde wird durch den Einfluß ihrer Ursache minder. Der Zorn aber vermindert die Sünde der Schmähung, die schwerer ist, wenn sie aus Haß hervorgeht. Auf der anderen Seite sagt Gregor (31. moral. 17.): „Vom Zorne kommen Schmähungen.“
b) Ich antworte, eine Sünde könne von Verschiedenem her ihren Ursprung haben; man sagt aber, sie gehe von da in erster Linie aus, von woher sie häufiger ihren Ursprung hat. Die Schmähung nun steht sehr nahe dem Zwecke des Zornes, nämlich der Rache; denn zu keiner Rache ist der zornige mehr hingeneigt, als zu der, die in Schmähungen besteht.
c) I. Die Schmähung ist nicht hingeordnet zum Zwecke des Hochmutes, der da ist: Auszeichnung. Also nicht unmittelbar entsteht die Schmähung aus dem Hochmute. Letzterer aber bereitet zur Schmähung vor; denn die sich für höher dünken wie andere, verachten diese anderen leicht und beleidigen sie; — leichter auch zürnen sie, denn sie erachten es als unwürdig, daß man gegen ihren Willen etwas thut. II. „Der Zorn hört nicht in vollendeter Weise auf die Vernunft,“ sagt Aristoteles. (7 Ethic 6.) Darin kommt also der zornige mit dem Thoren überein, daß ein Mangel an Vernünftigkeit ihm innewohnt. Und somit geht die Schmähung von der Thorheit aus, insoweit diese mit dem Zorne verwandt ist. III. 2 Rhet. 4. sagt Aristoteles: „Der zornige will offen beleidigen, worum der haßerfüllte nicht Sorge trägt.“ Die Schmähung also, weil sie offenbare Beleidigung enthält, gehört mehr zum Zorne, wie zum Hasse.
