Vierter Artikel. Worte aus der heiligen Schrift um den Hals hängen ist abergläubisch.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Die Worte des Herrn sind nicht minder wirksam, wenn sie gesprochen als wenn sie geschrieben werden. Man kann aber z. B. um jemanden zu heilen, gewisse heilige Worte sagen; wie „Vater unser“ oder „Ave Maria“. Und so sagt ja auch der Herr: „In meinem Namen werden sie Teufel austreiben etc.“ Also kann man, um Krankheit oder anderen Nachteil zu vermeiden, Worte der Schrift um den Hals tragen. II. Heilige Worte sind nicht minder wirksam für den Körper von Menschen wie für den von Schlangen und anderen Tieren. Frommer Gesang aber hat wirksame Kraft, um Schlangen zurückzuweisen oder andere Tiere zu heilen, nach Ps. 57.: „Wie eine taube Schlange, welche sich die Ohren verstopft, damit sie nicht höre die Worte dessen, der weise sie ansingt.“ Also. III. „Nicht geringer ist das Wort Gottes wie der Leib Christi,“ sagt Augustin (hom. 26.); also auch nicht geringer wie die Reliquien der Heiligen. Diese aber kann der Mensch zu seinem Schutze tragen; also auch jene. Auf der anderen Seite sagt Chrysostomus (hom. 43. in Matth. op. imp.) „Manche tragen einen Teil des Evangeliums aufgeschrieben um den Hals. Aber wird nicht täglich das Evangelium vorgelesen und von allen gehört? Wem also die Worte des Evangeliums, wie sie in sein Ohr drinnen, nichts nützen; wie können sie ihm zum Heile sein, wenn er sie um seinen Hals trägt? Ferner, wo liegt denn die Kraft des Evangeliums? In der Figur der Buchstaben oder im Verständnisse des Sinnes? Wenn in der Figur, dann thust du gut, die Buchstaben um den Hals zu tragen; wenn sie aber nur als eingeprägt in das Herz nützen, dann betrachte sie tief!“
b) Ich antworte; in allen solchen Gesängen und Schriften muß man sich vor zweierlei hüten: 1. daß nichts geschrieben sei, was auf das Anrufen der Dämonen sich bezieht und demgemäß, daß keine unbekannten Namen und Ausdrücke dastehen; weshalb Chrysostomus sagt: „Wie einst die Pharisäer den Saum ihrer Gewänder verlängerten, so giebt es jetzt viele, welche sich hebräische Namen von Engeln bilden, sie aufschreiben und sie sich anbinden; weil sie denen, die sie nicht kennen, als furchtbar vorkommen;“ auch muß man darauf sehen, daß nichts Falsches geschrieben sei, weil man sonst vom Gotte der Wahrheit keine Wirkung erwarten kann; — 2. daß keine besonderen Figuren, Zeichen etc. mit dabei geschrieben seien außer dem Zeichen des Kreuzes. Zudem muß man seine Zuversicht nicht setzen auf die bestimmte Weise des Schreibens oder des Anbindens oder dergleichen unnützen Dingen, dies wäre abergläubisch; sonst ist es erlaubt. Deshalb sagt die Dekretale (26 Qq. 5. cap. Non liceat): „Beim Sammeln von Kräutern, die der Heilkunde dienen, soll man nicht auf leere Formeln und gewisse Gesänge achtgeben; man solle nur den Glauben und das Vaterunser beten, damit allein Gott, der Schöpfer des All, geehrt werde.“
c) I. Auch das Sprechen von Worten oer heiligen Schrift, soweit damit abergläubische Gebräuche verbunden werden, ist unerlaubt. II. Auch mit Bezug auf Tiere, wenn nur auf die göttliche Kraft und die heiligen Worte gesehen wird, kann man letztere anwenden. Meistenteils aber haben solche Gesänge u. dgl. in ihrer Begleitung unerlaubte Formeln und Gebräuche, welche kraft der Dämonen ihre Wirkungen zur Folge haben. III. Das Gleiche gilt von Reliquien. Werden sie im Vertrauen auf Gott und die Heiligen getragen, so ist das erlaubt. Wird aber dabei auf anderes Unnützes gesehen, z. B. daß das Reliquiar ein Dreieck sei, so ist es unerlaubt und abergläubisch. IV. Chrysostomus spricht da von dem Falle, wenn man mehr Rücksicht nimmt auf die äußere geschriebene Form wie auf den Sinn der Worte.
