Vierter Artikel. Über die Schuld desjenigen, der zum Eide verpflichtet jenen, der einen Meineid schwört.
a) Wer einen meineidigen zum Eidleisten verpflichtet, sündigt selber. Denn: I. Entweder weiß er, daß der betreffende Wahres beschwören werde; und dann bedarf er keines Eides. Oder er glaubt, derselbe werde Falsches beschwören; und dann leitet er ihn zur Sünde des Meineides an. II. Minder schwerwiegend ist es, von jemandem einen Eid anzunehmen wie dazu ihn zu verpflichten. Bereits das Erstere aber scheint nicht erlaubt; und zumal wenn der schwörende falsch schwört, denn dann scheint er dieser Sünde zuzustimmen. Also noch weit weniger ist das Zweite erlaubt. III. Lev. 5. heißt es: „Wenn eine Seele sündigt und hört die Stimme eines, der falsch schwört, und Zeuge ist, weil er selber entweder es gesehen oder doch zuverlässige Wissenschaft davon hat; wenn er ihn nicht anzeigt, so soll er dessen Sünde ebenfals tragen.“ Also soll jemand, der da weiß, jemand schwöre falsch, diesen vielmehr anzeigen; nicht aber von ihm einen Eid verlangen. IV. Auf der anderen Seite sündigt jener, der falsch schwört, ebenso wie jener, der bei falschen Göttern schwört. Man kann aber den Eid des letzteren benutzen, nach Augustin. (Ep. 154.) Also kann man auch vom ersteren einen Eid verlangen.
b) Ich antworte; entweder fordert jemand vom anderen einen Eid aus freien Stücken oder kraft des ihm übertragenen Amtes. Im ersteren Falle muß man unterscheiden: „Weiß er nicht, daß der andere falsch schwören werde, so ist es keine Sünde, daß er ihm sagt: Schwöre mir; es ist jedoch eine menschliche Versuchung“ (August. de verb. ap. Jac. 28.); weil dies nämlich aus dem Zweifel hervorgeht, ob der andere die Wahrheit sage. Und das ist jenes Schwören, von dem Christus sagt: „Was darüber hinaus ist, das ist vom Übel.“ „Weiß er aber,“ so Augustin, „daß der andere das Gegenteil von dem gethan, was er beschwören soll, und zwingt er ihn trotzdem zu schwören, so ist er ein Mörder. Denn jener tötet sich selbst durch den Meineid; dieser aber stößt die Hand dessen; der sich tötet zum tödlichen Schlage.“ Wer jedoch kraft der Verpflichtung des ihm übertragenen Amtes, als öffentliche Person also, nach dem geltenden Rechte auf die Forderung eines anderen den Eid verlangt, hat keine Schuld, mag er wissen, derselbe werde falsch oder gut schwören; denn nicht er fordert in diesem Falle, sondern jener, auf dessen Verlangen er es erheischt.
c) I. Wenn jemand den Eid des anderen für sich selber verlangt und er weiß nicht für jeglichen Fall, ob jener die Wahrheit sagt oder nicht sondern er zweifelt und meint vielmehr, er werde die Wahrheit sagen; dann kann er zu größerer Sicherheit mit Recht den Eid verlangen. II. „Ich lese, wir sollen nicht schwören; aber ich erinnere mich nicht in der heiligen Schrift gelesen zu haben, wir sollen keinen Eid von einem anderen annehmen.“ (August. l. c.) An sich also sündigt der letztere nicht, außer im oben erwähnten Falle. III. Nach Augustin hat Moses in der genannten Stelle nicht ausgedrückt, wem der meineidige anzuzeigen sei; und deshalb sei dies dahin zu verstehen, daß er vielmehr solchen Personen angezeigt werde, die ihm nützen als die ihm schaden können. Ähnlich ist nicht gesagt, in welcher Ordnung die Anzeige zu machen sei. Und deshalb müsse man die vom Evangelium angezeigte Ordnung einhalten, wenn die Sünde des Meineids eine verborgene sei; und zumal wenn sie nicht einem dritten zum Nachteile gereiche, in welchem Falle die vom Evangelium gegebene Ordnung keine Geltung hat. IV. Man kann wohl des Übels sich bedienen, wie dies auch Gott thut. Aber man darf niemanden zu Üblem anhalten. Man kann also wohl den Eid dessen, der bei falfchen Göttern schwört, annehmen; aber man darf ihn nicht dazu anleiten, daß er bei falschen Göttern schwört. Ein anderer Grund scheint jedoch obzuwalten bei jenem, der beim wahren Gott Falsches schwört; denn in solchem Eide mangelt selbst noch jener gute Glaube, welchen man benützt beim Eide dessen, der bei falschen Göttern schwört. (August. l. c.) Danach scheint im Meineide dessen, der beim wahren Gott schwört, nichts Gutes zu sein, das man benutzen könnte.
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