Zweiter Artikel. Die Pflicht der Dankbarkeit gegen Gott im bußfertigen und im unschuldigen.
a) Der unschuldige ist mehr gehalten zur Dankbarkeit wie der bußfertige. Denn: I. Die Wohlthat der Unschuld ist größer wie die der Buße. II. Wie Dankbarkeit, so gebührt dem Wohlthäter auch Liebe. Augustin aber sagt (2. Conf. 7.): „Wer unter den Menschen, der an seine Schwäche denkt, wagt den eigenen Kräften anzurechnen seine Keuschheit und Unschuld, daß er Dich weniger liebe, als ob Deine Barmherzigkeit ihm weniger notwendig sei, mit der Du den sich zu Dir bekehrenden die Sünden verzeihst?… Nein, daß ein solcher Dich in höherem Grade liebe; denn durch jenen, durch dessen Kraft er mich befreit sieht von so vielen tödlichen Schwächen der Sünden, sieht er sich selbst gar nicht darin verwickelt!“ III. Im unschuldigen dauert die Wohlthat Gottes ununterbrochen an. Denn Augustin schreibt (I. c.): „Deiner Gnade rechne ich es an und Deiner Barmherzigkeit, daß Du geschmolzen hast das Eis meiner Sünden; Deiner Gnade teile ich zu, auch was ich nicht an Sünden gethan; denn was giebt es, das ich nicht hätte thun können? Ich bekenne, Alles sei nachgelassen, sowohl das Üble, was ich aus freien Stücken beging, wie auch das, was ich auf Grund Deiner Leitung nicht beging.“ Auf der anderen Seite sagt der Herr (Luk. 7.): „Wem mehr nachgelassen wird, der liebt mehr.“
b) Ich antworte, die Dankbarkeit richte sich auf die Gunst oder Gnade des gebenden. Wo also mehr von solcher Gnade oder Gunst ist, da ist mehr Dankbarkeit erforderlich von seiten des empfangenden. Gnade aber ist, was umsonst gegeben wird. Also kann auf seiten des Gebers in zweifacher Weise eine größere Gnade sein: einmal wegen des Umfanges dessen, was gegeben worden; und so ist zu größerer Dankbarkeit der unschuldige gehalten, denn er empfängt, abgesehen von den Umständen schlechthin gesprochen, die größere weil ununterbrochene Gabe; — dann, weil die Gnade in höherem Grade umsonst gegeben wird; und danach schuldet der büßende mehr Dankbarkeit Gott gegenüber, denn er war viel mehr wert, gestraft zu werden als Gnade zu empfangen. Die dem unschuldigen gegebene Gnade ist also an sich betrachtet größer; die dem büßenden verliehene ist größer im Vergleiche mit ihm, dem büßenden, wie etwa eine kleine Gabe, welche man einem armen giebt größer ist als eine große, die man dem reichen darbietet. Und weil die menschlichen Handlungen immer unter besonderen einzelnen Umständen sich vollziehen, so wird im Bereiche des menschlichen Handelns mehr erwogen, was und insoweit etwas sich auf die einzelne Person und die einzelnen Umstände bezieht, als das, was schlechthin so oder anders beschaffen ist. (3 Ethic. 1,),
c) Damit beantwortet.
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