Dritter Artikel. Die Undankbarkeit ist nicht immer Todsünde.
a) Die Undankbarkeit ist immer Todsünde. Denn: I. Gott muß man im höchsten Grade dankbar sein. Wäre aber der Mensch bereits auf Grund einer läßlichen Sünde undankbar gegen Gott, so würden alle Menschen undankbar sein. II. Die Undankbarkeit ist der heiligen Liebe entgegengesetzt; also ihrer ganzen „Art“ nach Todsünde. III. Seneca sagt (2. de benefic. 10.): „Das soll Gesetz sein: der eine soll sogleich der von ihm gespendeten Wohlthat vergessen; der andere empfangenen niemals.“ Nur aber deshalb soll der Wohlthäter offenbar seine Wohlthat vergessen, damit ihm die Sünde verborgen sei, wenn der andere undankbar ist. Dies wäre aber nicht nötig, wenn die Undankbarkeit eine leichte Sünde sein würde. Also ist sie immer Todsünde. IV. Auf der anderen Seite muß man keinem den Weg zeigen, eine Todsünde zu begehen. „Bisweilen aber,“ sagt Seneca, „soll man jenen, der unterstützt wird, auch täuschen, damit er das Begehrte wohl habe, ohne zu wissen, von wem.“ Dies aber öffnet für den, der die Wohlthat empfängt, den Weg zur Undankbarkeit.
b) Ich antworte, undankbar sei 1. jemand wegen reinen Unterlasses, weil nämlich er nicht anerkennt, nicht lobt etc. Und das ist nicht immer Todsünde; insofern, wie gesagt worden, die Schuld der Dankbarkeit darin besteht, daß man freigebig leiste, wozu man nicht gehalten ist; wer sonach dies unterläßt, der sündigt nicht schwer, freilich ist es immerhin eine läßliche Sünde auf Grund der Nachlässigkeit. Todsünde wird da nur eintreten, wenn dieses Unterlassen aus innerer Verachtung hervorgeht oder weil das durch die Undankbarkeit Entzogene geschuldet wird; wie z. B. wenn sich der Wohlthäter in Not befindet. Thut der undankbare aber 2. das Gegenteil von dem, was die Dankbarkeit auflegt, so ist dies Todsünde, wenn es sich um etwas Bedeutendes, wie z. B. um einen Notfall handelt; sonst ist es läßliche Sünde, nur soll man bemerken, daß die Undankbarkeit, welche auf einer Todsünde beruht, voll und ganz, dem Wesen nach, Undankbarkeit ist; wenn sie auf läßlichen Sünde beruht, so ist sie nur unvollkommen Undankbarkeit,
c) I. In der läßlichen Sünde ist nicht vollkommen Undankbarkeit; soweit sie aber einen Akt der Tugend hindert, kraft dessen der Mensch Gott gehorsam ist, wohnt ihr einigermaßen Undankbarkeit inne. II. Die Undankbarkeit als läßliche Sünde steht der heiligen Liebe nicht gegenüber. III. Seneca antwortet darauf (7. de benefic. 22.): „Es irrt, wer da meint, wenn wir sagen, der Wohlthäter solle der gespendeten Wohlthat vergessen, daß wir damit bedeuten wollen, er solle eine höchst wohlanständige Sache aus der Erinnerung herausschütteln. Das will vielmehr heißen: Nicht rühmen soll er sich seiner Wohlthat; er soll sie nicht allen vorpredigen.“ IV. Wer von der gespendeten Wohlthat nichts weiß, ist nicht undankbar, falls er nicht erkenntlich ist; vorausgesetzt die Bereitwilligkeit dazu in seinem lnnern. Manchmal aber ist es lobenswert, die Wohlthat so zu spenden, daß der Spender unbekannt bleibt, sei es um eitlen Ruhm zu meiden, wie der heilige Nikolaus Gold heimlich in ein Haus warf, damit man ihn nicht lobe, sei es weil dadurch die Wohlthat selber größer wird, wenn man dem empfangenden die Beschämung erspart.
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