Vierter Artikel. Die Beharrlichkeit bedarf des Gnadenbeistandes.
a) Dagegen spricht: I. Die Beharrlichkeit ist eine Tugend. Die Tugend aber ist thätig nach der Weise der Natur. (Cicero 2. de Inv.) Also genügt die natürliche Neigung, um zu beharren. II. Die Gnade Christi gilt mehr wie der von Adam verursachte Nachteil, nach Röm. 5. Vor der Sünde aber „konnte der Mensch verharren auf Grund dessen, was er empfangen hatte.“ (Aug. de corr. et Gratia cap. 11.) Also kann der Mensch um so mehr infolge der Gnade Christi verharren ohne neuen Gnadenbeistand. III. Die Werke der Sünde sind manchmal schwerer (Sap. 5.) wie die der Tugend. In diesen aber verharren die Menschen ohne weiteren Beistand. Also kann dies auch bei den Tugendwerken der Fall sein. Auf der anderen Seite schreibt Augustin (de persev. 1.): „Wir halten fest, es sei eine Gabe Gottes die Beharrlichkeit, kraft deren man bis zum Ende in Christo verharrt.“
b) Ich antworte, soweit es auf den Zustand der Beharrlichkeit ankommt, bedürfe der Mensch nur der heiligmachenden Gnade, wie dies auch für die übrigen Tugendzustände gilt. Wird aber die Tugendthätigkeit erwogen, insoweit sie bis zum Ende des Lebens dauert, so bedarf der Mensch nicht allein der zuständlichen, heiligmachenden Gnade, sondern auch eines besonderen Gnadenbeistandes Gottes, der den Menschen im Guten behütet bis ans Ende, nach I., II. Kap. 109, Art. 10. Denn da der freie Wille sich ändern kann und dies ihm nicht genommen wird durch die heiligmachende Gnade; so unterliegt es nicht der Macht des freien Willens, auch insoweit derselbe durch die Gnade wieder aufgerichtet ist, unbeweglich am Guten festzuhalten, obgleich es in seiner Macht steht, dies zu erwählen. Denn oft ist es in unserer Macht, zu erwählen; aber nicht, das Betreffende auszuführen.
c) I. Die Tugend der Beharrlichkeit an sich betrachtet neigt dazu hin, zu beharren. Aber da jede Tugend nur ein Zustand ist, dessen man sich bedient, wann man will; so ist damit nicht gegeben, daß wer den Tugendzustand hat auch unverrückbar desselben sich bedient bis zum Tode. II. Augustin schreibt so I. c.: „Dem ersten Menschen ist verliehen worden, nicht daß er thatsächlich verharre, sondern daß er vermöge seines freien Willens verharren könne; denn damals war kein Verderbnis in der menschlichen Natur, das da etwa der Beharrlichkeit Schwierigkeiten entgegengestellt hätte. Jetzt aber wird den vorherbestimmten verliehen nicht allein, daß sie verharren können, sondern daß sie kraft der Gnade Christi thatsächlich verharren bis ans Ende. Der erste Mensch also, obgleich kein Feind schreckte, stand trotz des Gebotes Gottes, das abschreckte, nicht fest inmitten so großen Glückes bei so vieler Leichtigkeit, die er hatte, nicht zu sündigen; er gebrauchte zu seinem Verderben seinen freien Willen; — diese aber, die vorherbestimmten Christi, stehen fest im Glauben, wenn auch die ganze Welt gegen sie wütet.“ III. Der Mensch kann von sich aus in Sünden fallen; aber er kann nicht von sich aus wieder aufstehen ohne den Beistand der Gnade. Fällt also der Mensch in eine Sünde, so bewirkt er dadurch selbst ohne alles Weitere, daß er in der Sünde verbleibt; wenn ihn die Gnade Gottes nicht befreit. Thut er aber Gutes, so bewirkt er damit nicht, daß er im Guten verharrt, weil er stets sündigen kann; und sonach bedarf er des göttlichen Gnadenbeistandes.
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