Zweiter Artikel. Der Gegenstand der Verschämtheit ist eine schändliche Wandlung.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. 4 Ethic. ult. sagt Aristoteles: „Die Verschämtheit ist die Furcht Vor Unehre oder Schande.“ Bisweilen aber erleiden Schande, welche nichts Schändliches thun, wie es Ps. 68. heißt: „Um Deinetwillen habe ich Schande ausgehalten und hat Scham mein Antlitz bedeckt.“ II. Schändlich handeln heißt sündigen. Manchmal aber schämen sich die Menschen dessen in ihrem Thun, was nicht Sünde ist, wie z. B. knechtischer Arbeiten. III. Bisweilen schämt man sich sogar guter Werke; wie Luk. 9. der Herr voraussetzt: „Wer sich meiner schämt und meiner Worte, dessen wird der Menschensohn sich schämen.“ IV. Schämte sich der Mensch einzig wegen der schändlichen Handlungen; so müßte er sich mehr schämen dessen, was schändlicher ist. Jedoch geschieht oft das Gegenteil. Der Mensch nämlich schämt sich oft dessen, was minder sündhaft ist und rühmt sich der schwersten Sünden, nach Ps. 51.: „Was rühmst du dich in Bosheit.“ Auf der anderen Seite heißt es bei Damascenus (l. c.) und Gregor von Nyssa (de nat. hom. 20.): „Scham ist die Furcht vor einer schändlichen Handlung.“
b) Ich antworte, die Furcht richte sich an erster Stelle auf ein schwer zu vermeidendes Übel. Nun giebt es in doppelter Weise etwas Schändliches: Das eine besteht in der Häßlichkeit des freiwilligen Aktes; und mit Bezug darauf besteht keine Furcht, denn hier fällt die Schwierigkeit, ihn zu vermeiden, fort, da was allein vom Willen abhängt nicht unter dem Gesichtspunkte des Schrecklichen aufgefaßt wird (2 Rhet. 5.); — I. das andere besteht im Tadel, den man von einem anderen her erfährt und das ist wie Strafe und nicht wie Schuld; besteht doch ein gewisser Glanz in der Verehrung, die man jemandem zollt. Und weil solches Schändliche den Charakter eines schwer zu vermeidenden Übels hat wie die Ehre ein schwer erreichbares Gut ist; deshalb richtet sich die Verschämtheit oder Furcht vor Schande zuerst und hauptsächlich auf den Tadel oder die Unehre. Weil aber der Tadel so recht eigentlich der Sünde gebührt, deshalb richtet sich an zweiter Stelle die Verschämtheit auf Schändliches im eigenen Thun und Handeln, auf die Sünde. Deshalb sagt Aristoteles (2. de Rhet.): „Weniger schämt sich der Mensch jener Mängel, welche nicht aus seiner Schuld sich ableiten.“ Es richtet sich aber die Verschämtheit auf die Schuld in doppelter Weise: 1. daß jemand vermeidet, Sündhaftes zu thun wegen der Furcht vor dem Tadel; — 2. daß jemand im Schändlichen was er thut vermeidet, öffentlich gesehen zu werden, weil er den Tadel fürchtet; davon gehört das Erste zum „Erröten“, das Zweite zum „Verschämtsein“: „Wer sich schämt, der verbirgt sich in dem, was er thut; wer errötet, der fürchtet, in Schande zu fallen“ (l. c. oben).
c) I. Die Verschämtheit geht vorzugsweise auf die Unehre, insoweit diese der Schuld gebührt, die da ein freiwilliger Mangel ist. Deshalb sagt Aristoteles (l. c.): „Der Mensch schämt sich in höherem Grade der Dinge, von denen er selbst die Ursache ist.“ Die Schande aber, die jemand wegen der Tugend leidet, verachtet der tugendhafte, weil er sie nicht verdient hat; wie dies Aristoteles (4 Ethic. 3.) von den hochherzigen sagt und wie es Act. 5. von den Aposteln heißt: „Es freuten sich die Apostel, da sie von den Richtern fortgingen, weil sie gewürdigt worden waren, wegen des Namens Jesu Schmach zu leiden.“ Daß jemand sich der Schmach schämt, die man ihm wegen seiner Tugend zufügt, kommt daher, weil die Tugend in ihm noch nicht die gebührende Vollendung hat; denn je tugendhafter einer ist, desto mehr verachtet er alle äußeren Güter oder Übel, nach Isai. 51.: „Fürchte nicht die Schmach vor den Menschen.“ II. Wie die Ehre, obgleich sie in Wahrheit nur der Tugend gebührt, einen gewissen Vorrang bedeutet; so besagt der Tadel, obgleich er nur der Schuld gebührt, zum mindesten nach der Meinung der Menschen, einen gewissen Mangel. Und deshalb schämt sich mancher der Armut, des Dienens u. dgl. III. Tugendhafte Werke sind an sich kein Gegenstand dafür, daß man sich schäme. Es kann dies jedoch auf Grund von Äußerlichem geschehen; entweder wenn solche Werke, nach der Meinung der Menschen, für sündhaft gehalten werden, oder insoweit der Mensch bei seinen Tugendwerken fürchtet, als Heuchler oder als vermessen zu gelten. IV. Die sogenannten geistigen Sünden sind wohl schwerer, haben aber weniger Schande an sich wie die fleischlichen, so daß man sich ihrer weniger schämt. Ebenso schließen manche Sünden ein gewisses Übermaß von zeitlichem Gute in sich ein; wie man sich mehr der Furchtsamkeit schämt wie der kühnen Verwegenheit und mehr des Diebstahles wie des Straßenraubes, denn es erscheint in letzteren eine gewisse Ähnlichkeit von zeitlicher Kraft oder Gewalt. Dasselbe gilt von Ähnlichem.
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