Zweiter Artikel. „Ehrbar“ ist dasselbe wie „wohlanständig“.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Der Grund des Ehrbaren liegt wesentlich im Begehren; was nämlich ehrbar ist wird um seiner selbst willen begehrt. Das Wohlanständige aber bezieht sich mehr auf den Anblick. Also ist Beides nicht ein und dasselbe. II. Das Wohlanständige besagt einen gewissen Glanz, was zum Ruhme in Beziehung steht; das Ehrbare geht auf die Ehre. Ehre und Ruhm aber sind verschieden (Kap. 103, Art. 1); also auch das Ehrbare und Wohlanständige. III. Das Ehrbare fällt zusammen mit der Tugend; die Schönheit begleitet das Wohlanständige. Es giebt aber eine Schönheit, welche der Tugend entgegensteht, nach Ezech. 16.: „Du bautest auf deine Schönheit und hast Unkeusches gethan.“ Auf der anderen Seite sagt der Apostel (1. Kor. 12.): „Was an uns unehrbar ist, schließt reichlichere Ehrbarkeit ein; unser Ehrbares aber bedarf keiner weiteren Sorge.“ Unehrbare Glieder aber nennt er hier die unanständigen Glieder, ehrbare die schönen Glieder. Also scheint „ehrbar“ zusammenzufallen mit „wohlanständig“.
b) Ich antworte, zum Charakter des Schönen oder Wohlanständigen trage bei der Glanz und das gebührende Verhältnis, nach Dionysius (4. de div. nom.), der da sagt: „Gott ist schön als die Ursache der Harmonie im All und des Glanzes.“ Deshalb besteht die Schönheit des Körpers darin, daß derselbe Glieder besitzt, die in sich und untereinander in gutem Verhältnisse stehen, und daß die Farbe eine gewisse gebührende Helle hat. Und ähnlich besteht die geistige Schönheit darin, daß das Benehmen und das Thun des Menschen durch ein gutes Verhältnis gemessen sei gemäß dem geistigen Glanze der Vernunft. Dies aber gerade entspricht dem Ehrbaren oder der Tugend, welche gemäß der Vernunft die menschlichen Dinge leitet und abmißt. Deshalb nennt Augustin (83 Qq. 30) das Ehrbare „eine geistige Schönheit.“… „Vieles ist,“ so gleich darauf, „schön anzusehen, wird aber mit minderem Rechte als eigentlich ehrbar bezeichnet.“
c) I. Der das Begehren bestimmende Gegenstand ist das Gute, insoweit es aufgefaßt wird; was aber in der Auffassung selber als wohlanständig oder schön erscheint, das wird als etwas Zukömmliches und als etwas Gutes betrachtet. Deshalb sagt Dionysius (4. de div. nom.): „Allen erscheint das Schöne und Gute als liebwert.“ Danach wird nun das Ehrbare selber, soweit es als geistig schön und wohlanständig sich vorstellt, etwas Begehrbares. In diesem Sinne sagt Cicero (l. de offic.): „Könntest du das Antlitz und die gleichsam äußerliche Form des Ehrbaren sehen, so würde, wie Plato erklärt, eine bewundernswerte Liebe zur Weisheit in dir erstehen.“ II. Der Ruhm ist die Wirkung der Ehre. Denn deshalb weil jemand gelobt oder geehrt wird, nimmt man von ihm Kenntnis. Wie also es das selbe ist: ehrenwert und ruhmwürdig sein; so ist es dasselbe: ehrbar und wohlanständig sein. III. Der Einwurf spricht von der körperlichen Schönheit. Aber auch auf die geistige Schönheit der Tugend, also des Ehrbaren kann jemand stolz sein; und so geistigerweise der Wollust huldigen, nach Ezech. 28.: „Erhoben hat sich dein Herz in deiner Schönheit: du hast verloren deine Weisheit in deiner Schönheit.“
