Vierter Artikel. Das Verhältnis zu den verschiedenen Personen.
a) Die höheren, hervorragenden Personen müssen um so mehr die Nüchternheit beobachten. Denn: I. Den Greisen gebührt ein gewisser Vorrang, nach Lev. 19.: „Vor dem weißen Haupte erhebe dich und ehre die Person des Greises.“ Der Apostel aber schreibt insbesondere den Greisen vor (bei Tit. 2, 2.), nüchtern zu sein. II. Der Bischof hat in der Kirche Gottes eine hervorragende Stellung. Ihnen aber schreibt (l. Tim. 3.) gleichfalls der Apostel insbesondere Nüchternheit vor. III. Der Wein wird den Königen verboten und bewilligt denen, welche in Trauer und Trostlosigkeit sind, nach Prov. 31.: „Gieb den Königen keinen Wein.… Gebet Wein den Traurigen und denen, die betrübt im Herzen sind.“ Also wird Nüchternheit in höherem Grade erfordert für diejenigen, welche an hervorragenden Stellen stehen. IV. Auf der anderen Seite ermahnt der Apostel 1. Tim. 3, 11. die Weiber, „schamhaft, nüchtern zu sein;“ und Tit. 2, 6. die Jünglinge.
b) Ich antworte, die Tugend habe 1. Beziehung zu den ihr entgegengesetzten Lastern und zu den Begierden, welche sie zügelt; und 2. zu dem Zwecke, zu welchem sie führt. Also wird in manchen die Tugend erfordert, weil in ihnen die Geneigtheit zur Sünde größer ist und somit die diesbezüglichen Begierden eines strammeren Zügels bedürfen; danach müssen die Jünglinge und die Frauen ganz besonders der Nüchternheit sich befleißigen: die Jünglinge, weil wegen des Feuers, das ihrem Alter eigentümlich ist, sie in höherem Grade nach Ergötzlichkeiten begehren; die Frauen, weil in ihnen an und für sich die Kraft der Vernunft, um den Begierden zu widerstehen, eine schwächere ist, weshalb nach Valerius Maximus (lib. 2, cap. 1, n. 3.) bei den alten Römern die Frauen keinen Wein tranken. In anderen jedoch wird die Nüchternheit erfordert als in höherem Grade notwendig zu der ihrem Stande oder ihrem Alter angemessenen Wirksamkeit. Der übermäßige Weingenuß aber stört die Thätigkeit der Vernunft. Und deshalb sollen Greise, in denen die Vernunft kräftig sein muß, um andere zu belehren; Bischöfe und ähnliche Obere, welche mit frommem Geiste göttlichen Dingen hingegeben sein müssen; Könige, die durch Weisheit ihr Volk leiten sollen, ganz besonders die Tugend der Nüchternheit üben.
c) Damit beantwortet.
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