Erster Artikel. Die erste Sünde des NIenschen war im Stolze begründet.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Röm. 5. heißt es: „Durch den Ungehorsam eines einzigen Mannes sind der Sünder viele geworden.“ Also war die erste Sünde Ungehorsam und nicht Stolz. II. Ambrosius schreibt zu Luk. 4.: „In derselben Ordnung versuchte der Teufel Christum, in welcher er den ersten Menschen niedergeworfen hatte.“ Christus aber wurde zuerst durch Gaumenlust versucht: „Sag', daß diese Steine Brot werden, wenn Du der Sohn Gottes bist.“ III. Der Teufel versprach dem ersten Menschen bei der Versuchung Wissenschaft. (Gen. 3.) Also war die erste Unordnung im Menschen die Begierde nach Wissen, was man Neugierde nennt. IV. Zu 1. Tim. 2. (Mulier seducta est) bemerkt Augustin (11. sup. Gen. ad litt. ult.): „Jene Verführung bezeichnete so recht eigentlich der Apostel als solche, durch welche die Ansicht hervorgerufen wurde, es sei wahr, was falsch gewesen ist; nämlich Gott hätte deshalb jenen Baum zu berühren verboten, weil Er wußte, wenn sie ihn berührten, würden sie wie Götter sein; als ob ihnen Gott nicht vergönnte, Götter zu sein, Er der sie geschaffen hatte, daß sie Menschen würden.“ Dies gehört aber zum Unglauben. Also war die erste Sünde Unglauben. Auf der anderen Seite ist „der Anfang jeder Sünde der Stolz.“ Die Sünde des ersten Menschen aber war der Anfang aller Sünde, nach Rom. 5.: „Durch einen Menschen ist die Sünde in diese Welt eingetreten.“
b) Ich antworte, viele Thätigkeiten können zu einer Sünde beitragen, unter welchen jene den Charakter der ersten Sünde hat, in welcher zuerst Regellosigkeit oder Unordnung gefunden wird. Nun ist die erste diesbezügliche Unordnung offenbar im Innern der Seele und nicht im äußeren Akte des Körpers; denn „die Heiligkeit des Körpers wird nicht verloren, wenn die Heiligkeit der Seele bleibt.“ (Aug. 1. de civ. Dei 18.) Unter den Thätigkeiten im Innern aber ist die erste die Bewegung zum Zwecke hin; und darauf erst folgen die Thätigkeiten, welche auf das Zweckdienliche sich richten. Und sonach war die erste Sünde des Menschen da, wo zuerst sein konnte das Begehren eines ungebührlichen Zweckes. Nun bestand im ersten Menschen dem Urzustande nach keine Empörung des Fleisches gegen den Geist. Also konnte die erste Unordnung im menschlichen Begehren nicht die sein, daß der Mensch ein sichtbares Gut begehrt hätte gemäß der Begierlichkeit des Fleisches außerhalb der Ordnung der Vernunft. Also hat er zuerst begehrt in ungeregelter Weise ein geistiges Gut. Er hätte danach aber nicht ungeregelterweise begehrt, wenn er nach dem von der göttlichen Güte ihm vorgelegten Maße begehrt hätte. Also war die erste Sünde des Menschen die, daß er ein geistiges Gut begehrte über sein Können oder über sein Maß hinaus; und somit war die erste Sünde des Menschen der Stolz.
c) I. Nicht deshalb war der Mensch dem göttlichen Gebote gegenüber ungehorsam, weil gerade der Ungehorsam von ihm gewollt gewesen wäre; denn das hätte nur unter der Voraussetzung stattfinden können, daß der Wille bereits ungeordnet gewesen wäre. Also war er wegen etwas Anderem ungehorsam. Das Erste aber, was er ungeregeltereise wollte, war der eigene Vorrang; und von diesem Begehren aus ward der Ungehorsam verursacht. Und dies ist was Augustin an Orosius schreibt (Qq. 65, qu. 4.): „In Stolz erhoben gehorchte der Mensch dem Überreden der Schlange und verachtete die Gebote Gottes.“ II. Auch die Gaumenlust mischte sich in die Sünde der ersten Eltern. Denn es steht geschrieben: „Es sah das Weib, daß die Frucht schön war …“ Die Schönheit und Güte der Frucht aber war nicht der erste Beweggrund zum Sündigen, sondern dies war vielmehr die Überredung der Schlange, die da gesagt: „Euere Augen werden geöffnet werden und ihr werdet sein wie Gott.“ Das begehrte Eva und sündigte so durch Stolz; die Gaumenlust aber kam aus dieser Quelle, III. Das Begehren nach Wissen kam vom Begehren nach einem ungeordneten Vorrange; wie auch die Schlange zuerst sagte: „Ihr werdet sein wie Gott“ und dann: „wissend das Gute und Böse.“ IV. I. c. 30. erklärt Augustin: „Das Weib würde den Worten der Schlange nicht glauben, daß ihnen Gott eine gute und nützliche Sache verboten habe, wenn nicht bereits dem Geiste innewohnte die Liebe zur eigenen Macht und eine entsprechende Vermessenheit auf sich selbst;“ — nicht freilich so, daß der Stolz den Worten der Schlange vorangegangen wäre; aber er trat sogleich nach diesem Überreden in die Seele und aus ihm folgte es dann, daß das Weib glaubte, es sei wahr, was der Teufel sprach.
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