Erster Artikel. In den äußeren Bewegungen des Körpers kann sich eine Tugend finden.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Alle Tugend richtet sich auf das Innerliche, nach Ps. 44.: „All ihre Herrlichkeit, der Königstochter, ist innerlich,“ d. h. „im Gewissen,“ sagt Augustin. II. Die Tugenden kommen bei keinem von der Natur. (2 Ethic. 1.) Die körperlichen Bewegungen aber sind mit der Natur gegeben, wonach manche schnell, manche langsam sich bewegen. III. Die äußerlichen Bewegungen sind keine Leidenschaften und auch keine Thätigkeiten, die ja in der Beziehung zu einem anderen bestehen. Also ist da weder von einer moralischen Tugend die Rede, die sich mit Leidenschaften befaßt, noch von der Gerechtigkeit. IV. Alle Tugend muß man sich mit Mühe und Arbeit erwerben. Mühe verwenden aber auf äußerliche Körperbewegungen ist tadelnswert. Denn, sagt Ambrosius (1. de offic. 18.): „Es sei der Schritt ruhig und gewichtvoll, wo Autorität sich kund thut; aber so, daß da keine Mühe erscheint, die man darauf etwa verwendet hätte, und daß er nicht gekünstelt sei, sondern die Bewegung sei einfach und rein.“ Also besteht da keine Tugend. Auf der anderen Seite gehört die glänzende Außenseite der Ehrbarkeit oder des Anstandes zur Tugend. Dahin aber ist zu rechnen die Beherrschung der äußerlichen Bewegungen. Denn Ambrosius (1. de offic. 19.) sagt: „Wie ich die weichliche und gebrochene Stimme oder eine ebensolche Bewegung des Körpers nicht billige, so auch nicht etwas Hartes und Wildes darin. Der Natur folgen wir; was sie uns zeigt, sei für uns wie eine Formel und wie ein Bild des Benehmens; es sei für uns die Richtschnur der Ehrbarkeit.“ Also besteht rücksichtlich des Körperlichen keine Tugend.
b) Ich antworte, die moralische Tugend habe die Aufgabe, das, was den Menschen angeht, durch die Vernunft zu regeln. Die äußerlichen Körperbewegungen aber sind der Regelung durch die Vernunft zugänglich; denn auf den Befehl der Vernunft setzen sich die Glieder in Bewegung. Also besteht mit Rücksicht darauf ohne Zweifel eine Tugend. Eine solche Regelung aber ist zu erwägen: 1. gemäß den Verhältnissen der eigenen Person; 2. gemäß dem Verhältnisse zu den Personen, Geschäften, Orten außen. Deshalb sagt Ambrosius (1. de offic. l. c.): „Das will sagen, die Schönheit des Verkehrs im Leben festhalten, daß man jeder Person und jedem Geschlechte giebt, was sich gebührt;“ und das gehört zum Ersten. Mit Rücksicht auf das Zweite: „Dies ist die beste Ordnung in den Handlungen, dies ist der jedem Thätigsein entsprechende Schmuck.“, Deshalb setzt mit Rücksicht aus solche äußere Bewegungen Andronicus zweierlei an: 1. den Schmuck und das bezieht sich auf die Person; er ist „die Kenntnis dessen, was sich in der Bewegung und Haltung geziemt;“ — 2. das gute Verhältnis oder „die Erfahrung, welche man gewonnen hat, wie man sich gegenüber anderen Personen je nach deren Verhältnissen und in den verschiedenen Geschäften zu benehmen hat.“
c) I. Die äußeren Thätigkeiten sind die Anzeichen für die Beschaffenheit des Innern, nach Ekkli. 19.: „Das Kleid des Körpers und das Lachen der Zähne und das Einhergehen des Menschen künden von ihm an;“ und Ambrosius nennt das äußere Verhalten (l. c.) „eine gewisse Stimme des Innern.“ II. Von Natur hat der Mensch wohl eine gewisse Anlage zu solcher oder solcher Beschaffenheit der äußeren Haltung. Was jedoch der Natur noch mangelt, kann die Sorgfalt der Übung ergänzen: „Die Bewegung wird von der Natur verliehen; ist aber in der Natur etwas Mangelhaftes, das soll von der Übung gebessert werden“ (l.
c). III. Da das Äußere ein gewisser Ausdruck des Innern ist, so fordert die Regelung der äußeren Bewegungen vorzugsweise die Regelung der inneren Leidenschaften. Deshalb heißt es bei Ambrosius (l. c.): „Von den äußeren Bewegungen aus wird unser innerer Mensch, der an sich verborgen ist, offenbar; ob er nämlich zu leichtsinnig oder zu prahlerisch oder zu unanständig oder umgekehrt beständig, gewichtvoll, rein ist.“ Auch die Menschen urteilen nach dem Äußeren über unser Inneres, nach Ekkli. 19.: „Aus dem Antlitze erkennt man den Mann.“ Danach also hat die Regelung unserer äußeren Bewegungen nicht nur Beziehung zu den inneren Leidenschaften, sondern auch zu den anderen Menschen außen. Deshalb sagt Augustin in seiner Regel: „In allen eueren Bewegungen sei nichts, was irgend einem Anstoß gebe, sondern was euerer inneren Heiligkeit entspricht.“ Und somit gehört die Regelung der äußeren Bewegungen zur Tugend der „Freundschaft“; insoweit diese Regelung mit Rücksicht auf außenstehende geschieht, mit denen man in angenehmen Formen, sei es was die Worte sei es was die Werke betrifft, verkehren soll. Insoweit aber die genannte Regelung der äußeren Thätigkeiten ausdrücken und anzeigen soll die innere Verfassung, gehört sie zur Tugend der Wahrheit, die das Äußere mit dem Innern übereinstimmen läßt. IV. Das Bemühen, die äußeren Bewegungen so herzustellen, daß sie der inneren Verfassung nicht entsprechen, also sich zu verstellen; das ist tadelnswert. Jedoch kann man was im Äußeren mangelhaft ist, durch sein Bemühen verbessern: „Die Kunst mag fehlen, das Bessern soll nicht fehlen.“ (Ambrosius I. c.)
