Zweiter Artikel. Die Tugend gegenüber den Spielen.
a) Mit Rücksicht auf die Spiele giebt es keine Tugend. Denn: I. Ambrosius schreibt (1. de offic. 21.): „Der Herr sagt: Wehe euch, die ihr lacht, denn ihr werdet weinen. Nicht allein zerstreuende, sondern alle Spiele und Scherze sind wie ich meine zu vermeiden.“ II. „Gott wirkt in uns die Tugend ohne uns,“ sagt Augustin. Chrysostomus aber sagt: „Gott giebt es nicht, daß gespielt wird, sondern der Teufel. Höre, was spielende erfahren haben. Es saß das Volk, zu essen und zu trinken; und sie standen auf, um zu spielen.“ Also hat keine Tugend die Spiele zum Gegenstande. III. 10 Ethic. 6. heißt es, daß die Thätigkeit des Spielens zu nichts Anderem, was da ihr Zweck wäre, hinbezogen werde. Zur Tugend aber ist es erfordert, daß jemand um etwas Anderem willen auswählend thätig sei, nach 2 Ethic. 4. Auf der anderen Seite sagt Augustin (2. musicae cap. ult.): „Du mußt dich aber schonen. Denn ich will, daß auch der weise manchmal nachlasse, seinen Geist anzuspannen für das Thätigsein.“ Dieses Nachlassen nun geschieht durch Scherz und Spiel. Also kann sich der weise und tugendhafte dessen erlaubtermaßen bedienen. Darum setzt Aristoteles mit Rücksicht auf die Spiele (4 Ethic. 8.) die Tugend der Eutrapelie oder des angemessenen Verkehrs an.
b) Ich antworte; wie der Mensch der körperlichen Ruhe bisweilen bedarf; denn seine Kraft ist begrenzt, so daß er nicht immer arbeiten kann; — so ist dies auch bei der Seele von Zeit zu Zeit der Fall. Wann also der Mensch sich über das Maß einzelnen Thätigkeiten hingiebt, so ermüdet er nach einer gewissen Zeit; zumal ja auch der sinnlichen Kräfte der Geist sich bedient und so der Körper ebenfalls ermüdet. Nun sind die sinnlich wahrnehmbaren Güter der menschlichen Natur entsprechend. Erhebt sich deshalb die Seele über das Sinnliche hinaus in gespannter Weise zu Geistigem, so entsteht daraus eine Ermüdung im sinnlichen Teile; und zwar in einem höheren Grade wenn sie ihre Betrachtung auf rein Geistiges richtet, da sie dadurch mehr über das Sinnliche hinaus erhoben wird. Sowohl aber bei der rein spekulativen Geistesarbeit wie bei der auf das Äußerliche gerichteten ist die Ermüdung um so größer, je angestrengter der Geist thätig war; und somit muß da von Zeit zu Zeit eine Ruhe oder Erholung eintreten. Die Ruhe des Geistes aber ist die Freude oder das Ergötzen. (1., II. Kap. 25, Art. 2.) Also ist da bei der Geistesarbeit als Erholung zu betrachten die Unterbrechung derselben durch irgend eine Ergötzung. So wird collat. 24, cap. 21. erzählt, daß einige Schüler Ärgernis nahmen als sie den heiligen Johannes den Evangelisten fanden, wie er sich am Spielen ergötzte; daß dann der heilige Evangelist, da er den Unwillen seiner Schüler merkte, dem einen geboten habe, er solle einen Bogen spannen und den Pfeil abschießen; und als dieser dies mehrmals gethan, hätte er den Schüler gefragt, ob dieser dies fortwährend thun könnte, worauf die Erwiderung gegeben worden wäre, dann würde der Bogen brechen; — also, hätte endlich Johannes gefolgert, würde ähnlich der menschliche Geist gebrochen werden, wenn man ihm niemals Erholung gönnte. Derartige Worte und Thätigkeiten aber, wo nichts Anderes gesucht wird wie ein gewisses Ergötzen und ein Erholen des Geistes, nennt man „Spiel“. Also darf und muß man bisweilen Spiele gebrauchen, um seinem Geiste die nötige Ruhe zu geben. (4 Ethic. 8.) Für solchen Gebrauch nun ist dreierlei zu beachten: 1. Man darf solches Ergötzen in nichts Unanständigem oder Schädlichem suchen (Cicero 1. de offic.: „Eine Art Spiel ist schmutzig, knechtisch, unedel, gemein“); — 2. die Spannung des Geistes muß nicht ganz und gar aufgelöst werden (Ambrosius 1. de offic. 20.: „Erholen wir den Geist, aber lösen wir die Harmonie, die wie ein Zusammenstimmen der verschiedenen Kräfte in guten Werken ist, nicht gänzlich auf“); — 3. das Spiel muß der Zeit, Person, Örtlichkeit angemessen sein. (Cicero l. c.) Derartiges muß aber jedenfalls nach der Richtschnur der Vernunft geregelt werden; und so ist der entsprechende Zustand eine Tugend, welche Aristoteles Eutrapelie nennt, nämlich den guten Verkehr in Wort und That mit anderen. Soweit durch diese Tugend das Spielen gezügelt wird, ist die Eutrapelie ein Teil der Mäßigkeit.
c) I. Das Spiel muß den Personen und Angelegenheiten entsprechen. Deshalb sagt Cicero (1. de lnv.): „Wenn die Hörer in etwa ermüdet sind, dann ist es nicht unnütz, daß der Redner mit etwas Neuem oder mit einem Scherze beginne, falls nämlich die Würde der Sache das erlaubt.“ Nun beschäftigt sich die heilige Lehre mit den würdevollsten, höchsten Dingen, nach Prov. 8.: „Höret, da ich über große Dinge sprechen will.“ Ambrosius also schließt nicht jeden Scherz von der Unterhaltung aus, wohl aber von der heiligen Lehre; denn er schickt vorher die Worte: „Obgleich die Scherze manchmal ehrbar und angenehm sind, die kirchliche Belehrung aber duldet sie nicht. Denn da wir Solches in der Schrift selber nicht finden, wie sollen wir uns anmaßen, sie in unsere Lehren hineinzuflechten!“ II. Chrysostomus spricht von jenen, die ihren Lebenszweck im Spielen und Scherzen finden, nach Sap. 15.: „Sie meinten, ein Spiel sei unser Leben.“ Und Cicero sagt gegen solche (l. c.): „Eine Quelle von Bescheidenheit ist es, wenn das Begehren folgsam ist der Vernunft; nicht sind wir von Natur für Spiel und Scherz gemacht; sondern vielmehr für den Ernst, nämlich für strengere und gewichtigere Bestrebungen.“ III. Die Thätigkeit des Spieles selbst hat nach ihrem inneren Wesen keinen weiteren Zweck; aber das damit verbundene Ergötzen dient der Erholung und Ruhe der Seele. Deshalb sagt Cicero: „Wir dürfen spielen und scherzen, wie wir auch schlafen und ruhen können; aber nachdem wir die ernsten Sachen besorgt haben.“
