Vierter Artikel. Über die Erkenntnis der Propheten rücksichtlich dessen, was sie prophezeien.
a) Die Propheten erkennen selbst immer, was sie prophezeien. Denn: I. Augustin sagt (12. sup. Gen. ad litt. 9.): „Für jene war dies noch keine Prophetie, denen durch einzelne sinnliche Ähnlichkeiten geistige Dinge gezeigt wurden; wenn nicht die Ausgabe des vernünftigen Geistes hinzugetreten war, daß sie davon auch geistiges Verständnis hatten.“ Was aber verstanden wird, das ist bewußtermaßen erkannt. II. Höher steht das prophetische Licht wie das der natürlichen Vernunft. Wer aber kraft des natürlichen Lichtes eine Wissenschaft hat, der ist nicht in Unkenntnis über das, was er weiß. Um so mehr darf also der Prophet nicht in Unkenntnis über das sein, was er verkündet. III. Die Prophetie soll die Menschen erleuchten, nach 2. Petr. 1,19. Nichts aber kann andere erleuchten, wenn es nicht in sich selber hell ist. Erkennt also der Prophet nicht an erster Stelle, was er verkündet, so kann er auch nicht andere erleuchten. Auf der anderen Seite heißt es bei Joh. 11.: „Dies aber sprach Kaiphas nicht aus sich selbst; sondern weil er in jenem Jahre Hohepriester war, prophezeite er, Jesus werde sterben sür das Volk;…“ dies jedoch erkannte Kaiphas nicht.
b) Ich antworte, in der prophetischen Erleuchtung werde der menschliche Geist vom heiligen Geiste aus in Thätigkeit gesetzt und zwar manchmal zu allem drei zusammen, nämlich um etwas aufzufassen, um etwas zu sprechen und um etwas zu thun; manchmal aber nur zu einem oder zwei davon. Und Jegliches davon ist mit einem Mangel in der Kenntnis begleitet. Denn wenn der Geist des Propheten in Thätigkeit gesetzt wird, um etwas zu erfassen oder abzuschätzen, so wird er bisweilen bis zu dem Punkte geführt, daß er die betreffende Sache nur erfaßt; bisweilen aber noch weiter, daß er erkennt, sie sei ihm von Gott offenbart worden. Ähnlich aber wird der Geist des Propheten manchmal bewegt, um etwas zu sprechen, in dn Weise, daß er auf das Nämliche sich richtet, worauf der heilige Geist selber gerichtet ist; wie bei David, der da sagte (2. Kön. 23.): „Der Geist des Herrn hat durch mich gesprochen;“ — bisweilen aber will der so sprechende nicht das damit sagen, was der heilige Geist meint, wie bei Kaiphas. Und desgleichen wenn der heilige Geist den Geist eines Menschen bewegt, um etwas zu thun, versteht manchmal der betreffende das, was dies bezeichnet, wie Jerem. 13., oder er versteht es nicht, wie z. B. die Soldaten, welche die Kleider Christi teilten, nicht verstanden, was damit ausgedrückt war. Wird also jemand vom heiligen Geiste so bewegt, daß er erkennt, er stehe unter dem Einsprechen des heiligen Geistes, um etwas zu erfassen oder abzuschätzen, oder um etwas zu bezeichnen mit seinen Worten und mit seinem Thun, so gehört dies im eigentlichen Sinne zur Prophetie. Wird er aber bewegt, erkennt dies jedoch nicht, so ist dies keine volle Prophetie, sondern ein gewisser prophetischer Antrieb. Jedoch ist dabei im allgemeinen zu bemerken, daß der Geist des Propheten ein mangelhaftes Werkzeug ist; und daß somit auch die wahren eigentlichen Propheten nicht Alles erkennen, was in ihren Gesichten oder Worten oder prophetischen Thaten der heilige Geist ausdrückt und beabsichtigt.
c) Damit beantwortet; denn die ersten drei Einwürfe sprechen von den Propheten im wahren Sinne des Wortes.
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