Erster Artikel. Alle moralischen Tugenden gehören zum thätigen Leben.
a)Dem steht entgegen: I. Das thätige Leben scheint sich nur auf die Beziehungen zum Nächsten zu richten. Denn, sagt Greegor (14. in Ezech.): „Das thätige Leben ist jenes, welches dem hungrigen Brot giebt“ … und zuletzt zusammenfassend, „welches jedem, was ihm förderlich ist, zuteilt.“ Also gehört zum thätigen Leben die Gerechtigkeit allein, welche die äußerlichen Thätigkeiten, nämlich die Beziehungen des einen zum anderen, reglet. II. „Das thätige Leben (l. c.) „ist dargestellt durch Lia, die triefende Augen hat, aber fruchtbar ist; welche, weil sie in Werken beschäftigt ist, minder sieht; denn insofern dasselbe bald durch das Wort bald durch daas Beispiel viele zu seiner Nachfolge enetzündet, zeugt es in gutem Wirken viele Kinder.“ Das ist aber mehr die heilige Liebe, wie die moralischen Tugenden. Also sind leetztere zum thätigen Leben nicht zugehörig. III. Die moralischen Tugenden bereiten vor zum beschaulichen Leben. Vorbereiten und Vollenden aber gehört zum nämlichen. Auf der anderen Seite sagt Isidor (3. de summo Bono 15.): „Im thätigen Leben müssen durch die Übung in guten Werken zuvörderst alle Laster ertötet werden; damit wir im beschaulichen Leben mit der Schärfe eines reinen Geistes zur Betrachtung des göttlichen Lichtes übergehen können.“ Alle Öaster aber werden nur ertötet durch die Übung aller moralischen Tugenden. Also gehören letztere in das thätige Leben.
b) Ich antworte, das thätige und beschauliche Leben unterscheiden sich gemäß den Beschäftigungen der Menschen und den verschiedenen Zweckrichtungen, von denen die eine ist die Betrachtung der Wahrhei und die andere die Thätigkeit nach außen hin. Nun sind die moralischen Tugenden nicht in erster Linie auf die Betrachtung der Wahrheit gerichtet, sondern darauf daß man thätig ist: „Wissen hilft wenig oder gar nichts zur Tugend,“ heißt es 2 Ethic. 2. Also gehören alle moralischen Tugenden in das Wesen des thätigen Lebens. (10 Ethic. 7.)
c)I. Unter den moralischen Tugenden ist die hauptsächlichste die Gerechtigkeit, wodurch der eine zum anderen Beziehung hat. Danach wird das thätige Leben vermittelst der Beziehungen des einen zum anderen beschrieben; nicht weil darin es allein, sondern weil vorzugsweise es darin besteht. II. Durch die Akte aller Tugenden kann jemand dem Nächsten dienen, wenigstens durch sein Beispiel. III. Gebraucht jemand die moralischen Tugenden als Vorbereitung für das beschauliche Leben, so gehören sie gemäß diesem Zwecke dem beschaulichen Leben an. Richtet er sein Bestreben auf sie als auf den Zweck oder als auf etwas Gutes an sich und nicht als auf etwas dem beschaulichen Leben Dienliches, so gehören sie zum Wesen des thätigen Lebens. Aber es kann auch das ganze thätige Leben als Vorbereitung für das beschauliche betrachtet werden.
