Vierter Artikel. Das thätige Leben dauert nicht fort nach dem Tode.
a) Das scheint doch. Denn: I. Die moralischen Tugenden, die ja ins thätige Leben gehören, dauern fort. (Aug. 14. de Trin. 2.) II. Lehren ist eine Thätigkeit des thätigen Lebens. Dies aber kann auch nach dem Tode sein; denn der eine Engel erleuchtet und reinigt den anderen. (7. de coel. hier.) III. Das thätige Leben ist seiner Natur nach oder an und für sich etwas mehr Dauerndes. Denn, sagt Gregor, „im thätigen Leben können wir fest und dauernd bleiben; im beschaulichen aber können wir mit gespannter Aufmerksamkeit des Geistes nicht bleiben.“ Also hat schon von vornherein das thätige Leben seinem ganzen Charakter nach dies an sich, daß es dauert; und somit dauert es auch nach dem Tode. Auf der anderen Seite schreibt Gregor (14. in Ezech.): „Mit dem gegenwärtigen Leben geht vorüber das thätige Leben, während das beschauliche hier nur anfängt.“
b) Ich antworte, der Zweck des thätigen Lebens sei die nach außen gehende Thätigkeit. Wird nun dieser Zweck auf die Ruhe der Betrachtung bezogen, so gehört dies bereits hier dem beschaulichen Leben an. Im zukünftigen Leben aber hört die Beschäftigung mit Außendingen auf; und ist da wirklich äußere Thätigkeit irgendwie vorhanden, so wird sie auf den Zweck der Betrachtung bezogen. Denn wie Augustin sagt (de civ. Dei in fine): „Da werden wir ruhen und schauen und lieben und loben … Da wird Gott ohne Ende geschaut, ohne Überdruß geliebt, ohne Müdigkeit gelobt werden; das wird da die Aufgabe, das die Liebe, das die Thätigkeit für alle sein.“
c) I. Die moralischen Tugenden bleiben nach dem Tode nicht mit Rücksicht auf die Thätigkeit, die dem Zweckdienlichen zugewandt ist; sondern mit jener, die auf den Zweck selber sich richtet. Derartige Thätigkeiten aber stellen jene Ruhe der Betrachtung her, welche Augustin in den erwähnten Worten kennzeichnet; eine Ruhe nicht nur gegenüber den äußeren Thätigkeiten, sondern auch gegenüber dem Tumulte der Leidenschaften. II. Das beschauliche Leben besteht vorzugsweise in der Betrachtung Gottes. Und mit Bezug darauf belehrt kein Engel den anderen; denn „immer schauen ihre Engel,“ sagt der Herr (Matth. 18.) von den Schutzengeln, also von denen des niedersten Chores, „das Angesicht des Vaters.“ Und so wird im künftigen Leben kein Mensch den anderen über Gott belehren; denn wir „werden alle Ihn sehen, wie Er ist.“ (1. Joh. 3, 2.) Dies spricht Jeremias (31.) aus: „Nicht wird da der Mann seinen Nächsten belehren und sagen: Lerne den Herrn kennen. Denn alle werden mich kennen vom kleinsten bis zum größten.“ Mit Rücksicht aber auf die Verwaltung und Offenbarung der Geheimnisse Gottes belehrt der eine Engel den anderen, indem er ihn reinigt, erleuchtet, vollendet; und danach haben sie etwas vom thätigen Leben, so lange die Welt dauert. Die Engel nämlich sorgen für die Leitung der niederen Kreatur, wie ja Jakob die Engel herabsteigen und hinaufsteigen sah. Jedoch „gehen sie nicht in der Weise vom Anschauen Gottes aus, daß sie der Wonne der inneren Beschauung ermangelten,“ sagt Gregor. (2. moral. 2.) In den Engeln also wird nicht so das thätige vom beschaulichen Leben unterschieden wie bei uns, die wir durch die Thätigkeit nach außen im inneren Anschauen gehindert werden. Die Ähnlichkeit mit den Engeln aber wird uns nicht verheißen mit Rücksicht auf die Leitung der niederen Kreatur, die uns nicht gebührt, wie sie der Natur der Engel gebührt; sondern mit Rücksicht auf das selige Schauen. III. Daß hier auf Erden das thätige Leben mehr Dauer hat wie das beschauliche, kommt von der Ohnmacht und Schwäche unserer Vernunft, die nicht lange es bei der reinen Betrachtung hoher Wahrheiten aushält; was Gregor (l. c.) sogleich hinzufügt.
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