Zweiter Artikel. An sich betrachtet ist das beschauliche Leben verdienstvoller wie das thätige.
a) Das Gegenteil erhellt aus Folgendem: I. „Verdienst“ heißt so mit Rücksicht auf den Lohn. Der Lohn aber gebührt der Arbeit, nach 1. Kor. 3.: „Ein jeder wird den ihm gebührenden Lohn erhalten gemäß seiner Arbeit.“ Dem thätigen Leben nun wird die Arbeit zugeteilt, dem beschaulichen die Ruhe; denn so sagt Gregor (14. in Ezech.): „Jener, der zu Gott bekehrt wird, muß erst in harter Arbeit schwitzen, d. h. die Lia nehmen, damit er dann zum Schauen des Princips aufsteige und da ruhe.“ Also ist das thätige Leben verdienstvoller. II. Das beschauliche Leben ist ein gewisser Anfang der zukünftigen Glückseligkeit. Deshalb bemerkt Augustin zu Joan. ult. (sic eum volo manere): „Das kann offener gesagt werden: Eine vollkommene Thätigkeit folge mir, vorgebildet durch das Beispiel meines Leidens; das Schauen aber, das einmal begonnen, bleibe bis ich komme, zu vollenden durch meine Ankunft.“ Ebenso sagt Gregor: „Das beschauliche Leben fängt hier an, damit es in der Heimat vollendet werde.“ Im Jenseits aber ist kein Zustand des Verdienstes, sondern da erhält man, was man verdient hat. Also hat das beschauliche Leben weniger den Charakter eines verdienstlichen Lebens wie das thätige; sondern es enthält vielmehr bereits den Lohn. III. „Kein Opfer ist Gott mehr angenehm wie der Eifer für das Heil der Seelen,“ sagt Gregor. (12. in Ezech.) Das bedeutet aber das thätige Leben. Auf der anderen Seite heißt es (6. moral. 18.): „Groß sind die Verdienste des thätigen Lebens, hervorragender die des beschaulichen.“
b) Ich antworte: Da die Wurzel des Verdienstes die heilige Liebe ist, hauptsächlich aber die heilige Liebe in der Liebe Gottes besteht und somit es an sich verdienstvoller ist, Gott zu lieben wie den Nächsten, so ist das mehr verdienstvoll, was sich unmittelbarer auf die Liebe Gottes bezieht, wie das, was sich um der Liebe Gottes willen auf die Nächstenliebe richtet. Das beschauliche Leben, „diese heilige Ruhe, aber wird unmittelbar gesucht von der Liebe der (göttlichen) Wahrheit“ (Aug. l. c.), mit der sich am reinsten das Betrachten beschäftigt. Also ist das beschauliche Leben an sich verdienstvoller wie das thätige, das sich (Luk. 10.) mehr „auf den sorgsamen Dienst“ des Nächsten richtet. Dies drückt Gregor mit den Worten aus (3. in Ezech.): „Das beschauliche Leben ist mit Recht hervorragender wie das thätige; denn dieses müht sich ab in den Bedürfnissen des gegenwärtigen Lebens, worin man nämlich dem Nächsten zu Hilfe kommen kann; jenes aber hat bereits einen inneren Vorgeschmack der zukünftigen Ruhe.“ Jedoch kann im einzelnen es manchen geben, der mehr Verdienst hat in den Werken des thätigen Lebens, wie ein anderer in denen des beschaulichen; wie z. B. wenn jemand wegen überfließender Liebe zu Gott, damit Gottes Wille geschehe und Gottes Ehre genügt werde, es duldet, für eine Zeit der süßen Betrachtung sich zu enthalten, wie Paulus sagt (Rom. 9.): „Ich wünschte selber getrennt zu sein von Christo für meine Brüder,“ was Chrysostomus (1. de compunct. 7.) erklärt: „So hatte ihn die Liebe Christi ganz und gar erfüllt, daß er selbst das für ihn Wonnevollste, mit Christo zu sein, verschmähte, weil er dadurch Christo mehr gefalle.“
c) I. Die äußere Arbeit trägt bei zur Vermehrung des zum substantiellen und wesentlichen Lohne von außen her hinzutretenden Lohnes, ist ein praemium accidentale. Die Vermehrung des wesentlichen Lohnes aber besteht in der heiligen Liebe. Von dieser Liebe ist ein gewisses Zeichen die äußere Arbeit, die um Christo willen ertragen wird; ein ausdrücklicheres Zeichen aber ist der Verzicht auf Alles, was zu diesem Leben wünschenswert ist, nur damit man der göttlichen Betrachtung pflegen könne. II. Die Glückseligkeit ist die Vollendung. Da kann also kein Fortschritt mehr sein auf Grund des Verdienstes. Wäre aber ein Verdienen möglich, so würde man wirksamer verdienen, weil die Liebe größer ist. Das beschauliche Leben hier jedoch ist unvollkommen und es kann in demselben noch fortgeschritten werden. Also fällt da nicht das Verdienst fort; sondern es ist um so größer, weil die Übung der göttlichen Liebe da größer ist. III. Unter allem Guten, was man Gott darbringen kann, also unter allen Opfern ist das größte und angenehmste das Darbringen der menschlichen Seele. Zuerst nun muß der Mensch Gott darbringen seine eigene Seele, nach Ekkli. 30.: „Erbarme dich deiner Seele dadurch daß du Gott gefällst.“ Dann soll er darbringen die Seele anderer, nach Apoc. ult. 7.: „Wer es hört, soll sagen: Komme.“ Je inniger also jemand seine oder eines anderen Seele mit Gott verbindet, desto größer und Gott angenehmer ist das Opfer, welches er Gott darbringt; und somit ist es Gott angenehmer, daß der Mensch seine oder eines anderen Seele dem beschaulichen Leben widme als dem thätigen. Wenn demnach gesagt wird, „kein Opfer sei größer und Gott angenehmer wie der heilige Eifer für die Seelen;“ damit wird nicht das thätige Leben vorgezogen dem beschaulichen. Es wird damit viel mehr gezeigt, daß es Gott weit angenehmer sei, wenn ihm jemand seine oder eines anderen Seele darbringe als wenn er andere äußerliche Dinge opfert.
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