Vierter Artikel. Das thätige Leben geht der Zeit nach dem beschaulichen vorher.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die Liebe Gottes geht vorher der Liebe des Nächsten; ebenso demgemäß das beschauliche dem thätigen Leben. II. „Man solle wohl wissen,“ ermahnt Gregor (14. in Ezech.), „daß, wie es eine wohl gebührende Ordnung ist, wenn man vom thätigen zum beschaulichen Leben gelangt, so auch nützlicherweise der Geist vom beschaulichen zum thätigen übergeht.“ Also ist das Vorhergehen des thätigen Lebens nicht so schlechthin zu nehmen. III. Wenn Dinge verschiedenen Personen zukommen, so braucht da nicht eine gewisse Ordnung zu herrschen. Das beschauliche und thätige Leben aber kommt verschiedenen Personen zu, nach Gregor (6. moral. 17.): „Oft fallen jene, welche in der Ruhe Gott betrachten konnten, gedrückt durch äußere Beschäftigungen; und oft sind andere, die mit menschlichen Dienstleistungen beschäftigt gut lebten, durch das Schwert ihrer Ruhe durchbohrt worden.“ Also ist zwischen diesen beiden Lebensarten überhaupt kein geordnetes Verhältnis. Auf der anderen Seite sagt Gregor (3. sup. Ezech.): „Der Zeit nach früher ist das thätige Leben, denn auf der Grundlage guter Werke muß man nach der Beschaulichkeit streben.“
b) Ich antworte, der Natur nach sei das beschauliche Leben früher wie das thätige; denn sein Gegenstand ist höher und besser, so daß es das thätige Leben leitet und lenkt. Denn die höhere Vernunft, welche dem Schauen sich widmet, ist mit der niederen, dem gewöhnlichen Leben zugewendeten, verglichen im Verhältnisse wie der Mann zur Frau, nach Augustin sagt. (12. de Trin. 12.) Dem Entstehen oder Erzeugtwerden nach aber ist das thätige Leben früher, denn es ist wie der Weg zum Schauen.
c) I. Das beschauliche Leben hat nicht irgend welche Liebe Gottes zum Gegenstande, sondern die vollendete; während das thätige Leben notwendig ist zu jeder beliebigen Nächstenliebe. Deshalb sagt Gregor (in Ezech. l. c.): „Ohne das beschauliche Leben können zur Seligkeit eintreten, die das Gute, was sie thun können, nicht vernachlässigen; ohne das thätige Leben aber können sie nicht eintreten, wenn sie beiseite lassen das Gute, was sie thun können.“ Daraus geht zudem hervor, daß das thätige Leben der Zeit nach dem beschaulichen Leben vorhergeht, wie ja immer im Entstehen das Gemeinsame früher ist wie das, was nur vollkommenen eigen ist. II. Das beschauliche Leben leitet das thätige; und ist danach früher. Das thätige Leben bereitet vor das beschauliche; und ist nach dieser Seite hin früher. So auch wird ja durch Thätigkeiten ein Zustand erworben; und durch den Zustand ist man wieder leichter und in mehr vollkommener Weise thätig. III. Die da von Natur zu Leidenschaften geneigt sind, haben mehr Anlage zum thätigen Leben wegen der Unruhe in ihrer Natur und wegen des Ungestüms in ihren Leidenschaften. In diesem Sinne sagt Gregor (6. moral. 17.): „Manche sind in dem Grade unruhig, daß, wenn sie von ihren Arbeiten Muße haben, sie schwerer arbeiten; denn sie erleiden um so schlechteren Lärm in ihrem Herzen, je mehr sie Zeit haben sür ihre Gedanken.“ Andere sind von Natur ruhigeren Geistes und somit mehr für die Beschaulichkeit veranlagt; würden sie ganz und gar zu Arbeiten verwendet, so möchten sie schweren Nachteil leiden. Deshalb fügt Gregor hinzu: „Andere Menschen haben einen so ruhigen Geist, daß, wenn sie arbeitsvolle Beschäftigung, haben, sie gleich im Anfange unterliegen… Jedoch auch träge Gemüter regt die Liebe zur Arbeit an und unruhige Herzen zügelt in der Betrachtung die Furcht.“ Demnach können auch jene, welche von Natur mehr Anlage für das thätige Leben haben, durch die Übung in guten Werken zum beschaulichen Leben vorbereitet werden; und ebenso jene, die von Natur mehr für das beschauliche veranlagt sind, können in äußeren Werken sich üben, damit sie dann um so mehr zur Beschaulichkeit geneigt seien.
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