Siebenter Artikel. Die Beziehung vorhergehender guter werke zur Erreichung der Seligkeit.
a) Es scheint, daß behufs Erreichung der Seligkeit keinerlei guten Werke erfordert werden: I. Die Werke des Menschen werden für die Seligkeit nicht erfordert, als ob sie dieselbe bewirkten, denn so bewirkt keine Kreatur und in keinerlei Weise die Seligkeit; also nur aus dem Grunde, damit sie den Menschen in etwa disponieren, wie man den Stoff dazu vorbereitet, daß er eine Form erhält. Gottes Kraft aber ist unendlich. Also bedarf es für Ihn keiner solchen Disposition oder Vorbereitung des Stoffes; Er bringt sogleich Alles hervor. II. Die Natur hat Gott, der Herr, kraft unmittelbaren Einwirkens ohne irgend welche vorhergehende Vorbereitung von seiten des Stoffes gegründet; jegliches Ding schuf Er als vollendetes in seiner Gattung. Also verleiht Er auch die Seligkeit unmittelbar und ohne vorhergehende Thätigkeit seitens der Kreatur. III. Der Apostel sagt (Röm. 4.): Die Seligkeit „gehöre dem Menschen, welchem Gott ohne vorhergehende Werke die Gerechtigkeit verleiht“. Also sind keine vorhergehenden Werke erfordert, um die Seligkeit zu erreichen. Auf der anderen Seite heißt es Joh. 13.: „Wenn ihr dies wisset, so werdet ihr selig sein, falls ihr es thut.“ Also vermittelst der Thätigkeit kommen wir zur Seligkeit.
b) Ich antworte, die Geradheit des Willens wird ganz wohl zur Seligkeit erfordert; weil sie nichts Anderes ist als die gebührende Beziehung des Willens zum letzten Endzwecke. Daraus folgt aber nicht, daß gute Werke der Seligkeit vorhergehen müssen. Denn Gott könnte ebensogut zugleich dem Willen die rechte Richtung auf den Zweck hin geben und diesen Zweck selber; wie Er manchmal zugleich den Stoff disponiert, d. h. in die rechte Lage bringt und auch die bestimmende Form ihm aufprägt. Die Ordnung der göttlichen Weisheit aber erheischt, daß dies nicht geschehe. Denn, wie es II. de coelo heißt, „von den Wesen, die dazu geeignet sind, das vollendete Gut zu besitzen, haben es einige ohne irgend welche vorhergehende Hinbewegung oder Thätigkeit; andere erreichen es mit einer einzigen Hinbewegung oder Thätigkeit; wieder andere vermittelst mehrerer Bewegungen oder Akte. Das vollendete Gut nun besitzen ohne eine einzige vorhergehende Bewegung oder Thätigkeit, kommt nur jenem Sein zu, welches dasselbe kraft seiner Natur besitzt.“ Nur Gott aber besitzt kraft seiner Natur die Seligkeit. Also nur Gott ist es eigen, selig zu sein ohne voraufgehende Thätigkeit. Keine einzige Kreatur kann sonach die Seligkeit, die ja alle natürlichen Kräfte übersteigt, ohne vorhergehende Bewegung oder Thätigkeit erreichen, vermittelst deren sie darauf sich richtet. Nur hat der Engel, als seiner Natur nach höher stehend wie der Mensch, kraft der Anordnung der göttlichen Weisheit seine Seligkeit mit einer Bewegung oder mit einem einzigen verdienstlichen Akte erlangt (I. Kap. 62, Art. 5); der Mensch aber erlangt sie durch viele Bewegungen oder Akte, die man Verdienste nennt. Danach sagt Aristoteles (1 Ethic. 9.): „Die Seligkeit ist der Lohn der tugendhaften Handlungen.“
c) I. Nicht weil die göttliche Kraft ungenügend wäre, werden vorhergehende gute Werke verlangt; sondern damit die Ordnung, welche den Dingen innewohnt, gewahrt bleibe. II. Die ersten Kreaturen hat Gott ohne alle sonstige Vorbereitung oder anderweitige Thätigkeit von ihrer Seite als durchaus vollendete hervorgebracht, weil durch sie die betreffenden Gattungen weiter fortgepflanzt werden sollten. Und weil durch Christus, den Gottmenschen, die Seligkeit auf andere fortgepflanzt werden sollte, „denn viele Söhne hatte Er in die Herrlichkeit geführt“ (Hebr. 2.); so war auch seine Seele von der Empfängnis an ohne vorhergehende Thätigkeit selig. Dies ist Ihm aber allein eigen. Denn den getauften Kindern hilft das Verdienst Christi, auf daß sie, obgleich sie keine guten Werke gethan, in die Seligkeit eintreten. III. Der Apostel spricht von der Seligkeit der Hoffnung, welche der heiligmachenden Gnade gedankt wird. Sie wird nicht gegeben auf Grund vorhergehender Werke; denn sie trägt nicht den Charakter des Endpunktes, sondern ist vielmehr der Anfang oder das Princip der Thätigkeit, womit man nach der Seligkeit strebt.
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