Achter Artikel. Jedem Menschen ist es eigen, nach Seligkeit zu verlangen.
a) Dementgegen: I. Kann niemand ein Gut erstreben, das er nicht kennt; da nur das aufgefaßte Gut Gegenstand des Strebens ist. (3 de anima.) Viele aber wissen nicht, was das sei, „Seligkeit“, wie Augustin sagt (13. de Trin. c. 4.); und wie dies schon daraus hervorgeht, daß manche die Seligkeit in sinnlichen Genüssen oder in der Tugend der Seele oder anderswo erblicken, wo sie nicht ist. Also nicht alle verlangen nach der Seligkeit. II. Die Seligkeit ist das Anschauen des göttlichen Wesens. Viele aber meinen, es sei unmöglich, das Wesen Gottes zu schauen. Also verlangen sie danach nicht. III. Augustinus (13. de Trin. 5.) sagt: „Selig ist, wer Alles hat, was er will und nichts verkehrterweise will.“ Manche aber wollen, was ein Übel ist oder sie wollen das Gute in verkehrter Weise; und doch wollen sie, daß darauf ihr Wille gerichtet sei. Also wollen nicht alle die Seligkeit. Auf der anderen Seite schreibt Augustin (13. deTrin. 3.): „Wenn er weniger gesagt hätte, wie z. B.: Ihr alle wollt selig sein, keiner will elend sein; so hätte er etwas gesagt, was jeder als in seinem Willen befindlich anerkennen müßte.“
b) Ich antworte; wird die Seligkeit in ihrem allgemeinen Charakter als Seligkeit berücksichtigt, so muß jeder die Seligkeit wollen. Denn danach ist sie überhaupt das vollendete Gute; und da der Gegenstand des Willens das Gute ist, so befriedigt das vollendete Gute allseitig den Willen. Nach Seligkeit verlangen also ist nichts Anderes als verlangen, daß der Wille befriedigt werde; und das will jeder. Wird jedoch die Seligkeit genommen mit Rücksicht auf den besonderen Gegenstand, in dem sie sich findet, so erkennen nicht alle ihre Seligkeit. Denn sie wissen nicht, welchem Wesen der allgemeine Charakter der Seligkeit, das vollendete Gute nämlich, zukommt; und nach dieser Richtung hin wollen nicht alle die Seligkeit.
c) I. Danach ist der erste Einwurf beantwortet. II. Da der Wille sich nach der Auffassung der Vernunft richtet, so trifft es sich, daß, wie etwas dem thatsächlichen Sein nach ein und dasselbe ist, nach verschiedenen Seiten aber aufgefaßt wird, so ähnlich auch etwas dem thatsächlichen Sein nach ein und dasselbe Gut ist, jedoch nach einer Seite hin begehrt, nach der anderen Seite hin nicht begehrt wird. Die Seligkeit also kann betrachtet werden als der letzte und allseitig vollendete Endzweck; — und so strebt danach der Wille mit Naturnotwendigkeit, ohne Aufhören. Dann kann sie betrachtet werden nach verschiedenen besonderen Auffassungen, unter Rücksichtnahme auf verschiedene Verhältnisse, und zwar entweder von seiten der Thätigkeit selber oder von seiten des thätigen Vermögens oder von seiten des Gegenstandes; und so strebt der Wille nicht mit Notwendigkeit danach, sondern der eine gemäß dieser Auffassung, der andere gemäß jener. III. Wenn man die folgende Begriffsbestimmung der Seligkeit gut versteht, so ist sie zutreffend. „Selig ist, wer Alles hat, was er will; und dem Alles glückt, was er anfängt.“ Wer nämlich Alles hat, was er kraft des Begehrens seiner Natur will, der ist wahrhaft selig; denn nichts kann das von der Natur selbst kommende Begehren des Menschen voll befriedigen wie das allseitig vollendete Gut, das da eben ist die Seligkeit. Soll aber diese Begriffsbestimmung gelten von dem, was der Mensch mit seiner Vernunft im einzelnen Falle auffaßt als Gut und deshalb begehrt; so ist der Mensch nicht selig, wenn er hat, was er will. Denn manchmal ist etwas derartiges als Gut Aufgefaßtes ein Hindernis für das, was der Mensch seiner Natur nach will; wie z. B. die Vernunft manchmal im einzelnen Falle als wahr annimmt, was in der That von der Erkenntnis der Wahrheit zurückhält. Deshalb fügt Augustin hinzu: „der nichts in verkehrter Weise will;“ obgleich der erste Teil richtig verstanden genügt hätte.
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