Erster Artikel. Der Wille wird von der Vernunft bewegt.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Augustin sagt zu Ps. 118.: Concuupivit anima mea: „Die Vernunft fliegt voran, es folgt spät oder gar kein Affekt; das Gute wissen wir, es ergötzt uns nicht, es zu thun.“ Das fände aber nicht statt, wenn die Vernunft den Willen bewegte; denn die Bewegung des Beweglichen folgt dem Anstoße des Bewegenden. II. Die Vernunft verhält sich zum Willen wie die Einbildung zum sinnlichen Begehren; sie zeigt das Begehrenswerte. Die Einbildungskraft aber bewegt dadurch nicht den begehrenden Sinn; vielmehr verhalten wir uns zu den Bildern in unserer Phantasie manchmal wie zu dem, was Gemälde uns zeigen, was uns bisweilen nicht im mindesten bewegt, nach Aristoteles. (2. de anima.) Also verhält es sich ebenso mit der Vernunft. III. Das Nämliche kann sich zu ein und demselben nicht verhalten, wie bewegend zugleich und bewegt. Der Wille aber bewegt die Vernunft; denn wir machen einen Erkenntnisakt, wenn wir wollen. Also bewegt die Vernunft nicht den Willen. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (3. de anima): „Das Begehrenswerte ist, soweit es aufgefaßt ist, bewegend und wird selber nicht bewegt; der Wille ist bewegend, aber so, daß er selber wieder bewegt wird.“
b) Ich antworte; insoweit bedarf etwas dessen daß es von Anderem her bewegt und bestimmt werde, als sein Vermögen sich auf Mehreres erstreckt. Denn was nur vermögend ist seiner Natur nach, das muß in Thätigkeit gesetzt werden von seiten eines Seins, welches entsprechende Thatsächlichkeit besitzt; — und gerade dies nennt man: Bewegen. In doppelter Weise aber findet sich eine Seelenkraft im Vermögen für Verschiedenes: einmal dafür, daß sie wirken kann und auch nicht wirken kann; und dann, daß sie dies wirken kann oder jenes; — wie der Gesichtssinn manchmal sieht oder nicht sieht; und manchmal Schwarzes oder Weißes sieht. Nach zwei Seiten hin also bedarf sie einer sie bewegenden oder in Thätigkeit setzenden Kraft, nämlich einmal, damit sie überhaupt thätig sei, in den thatsächlichen Gebrauch oder in die Übung ihres Wirkens eintrete (quoad exercitium actis); und dann, damit sie etwas Bestimmtes, dies oder jenes, wirke (quoad determinationem vel specificationem actus). Das erstere hält sich auf seiten des handelnden Subjekts, das bisweilen thätig ist, bisweilen nicht; das andere auf seiten des Gegenstandes und danach erhält der Akt seine bestimmte Gattung, seine species. Die Bewegung oder Wirksamkeit des Subjekts nun rührt von etwas Einwirkendem her. Und da jegliches Wesen, welches thätig ist, um eines Zweckes willen thätig ist, so kann das Princip dieser Wirksamkeit nur vom Zwecke her genommen werden. Und dies ist der Grund, weshalb die Kunst, welche sich mit dem Zwecke beschäftigt, durch ihr Gebot jene Kunst in Thätigkeit setzt, welche auf das Zweckdienliche gerichtet ist; wie die Kunst, das Schiff zu steuern, bestimmend gegenübersteht der Schiffsbaukunst, (2 Physic. 2.) Nun trägt das Gute im allgemeinen, welches der Gegenstand des Willens ist, den Charakter des Zweckes. Also von dieser Seite her bewegt und setzt in Thätigkeit der Wille alle übrigen Vermögen mit Rücksicht auf die denselben entsprechenden Akte. Denn wir gebrauchen diese anderen Vermögen, wann wir wollen. Der Zweck und die Vollendung aller anderen Vermögen sind somit einbegriffen im Gegenstande des Willens wie einzelne besondere Güter. Da nun jene Kunst oder jenes Vermögen, wozu der allgemeine Endzweck im Bereiche einer Seinsart gehört, immer jene Kunst oder jenes Vermögen bewegt oder in Thätigkeit setzt, wozu ein besonderer, beschränkter Zweck gehört, der in jenem allgemeinen eingeschlossen ist; wie der Heerführer des ganzen Heeres, dem die Ordnung der Gesamtheit anvertraut ist und der somit das Beste aller im Heere vor sich hat, die niedrigeren Führer einzelner Truppenteile in Thätigkeit setzt; — so giebt der Wille, welcher das Gute überhaupt, alles mögliche Gute zum Zwecke hat, nach dieser Seite hin, vom Subjekte aus den ersten Anstoß für alle anderen Vermögen. Der Gegenstand nun bewegt insoweit, als er dem Akte die abgegrenzte Bestimmtheit verleiht nach der Weise, wie die Wesenheit ein Ding in eine bestimmte Gattung setzt; wie z. B. die Wärme für die Erwärmung die bestimmte Seinsstufe verleiht. Nach dieser Seite hin, also unter den Formalprincipien, ist das erste und hauptsächliche das Sein und das Wahre im allgemeinen, was da ist Gegenstand der Vernunft. Und deshalb ist mit Beziehung darauf die Vernunft das Princip, welches den Willen bewegt, indem sie ihm seinen Gegenstand in aller Bestimmtheit vorhält.
c) I. Die Vernunft bewegt wohl; aber damit ist nicht gesagt, daß der Wille ihr mit Notwendigkeit folgen muß. II. Die reine Form des Phantasiebildes bewegt nicht den Sinn, wenn nicht damit eine gewisse Schätzung, ob es sich um Schädliches oder Zukömmliches handelt, verbunden ist. Und so bewegt auch die Auffassung des Wahren nur unter der Voraussetzung, daß damit das Gute und Begehrenswerte verknüpft erscheint. Deshalb geht die entsprechende Willensbewegung nicht vonder spekulativen, rein beschaulichen Vernunft aus, sondern von der praktischen auf die Thätigkeit gerichteten. III. Soweit es die Ausübung der Wirksamkeit überhaupt anbelangt, ob nämlich ein Vermögen thätig sein solle oder nicht, wird das Vernunftvermögen vom Willen aus in Thätigkeit gesetzt; denn auch die Vollendung der Vernunft, das Wahre, ist ein Gut und ist demgemäß im allgemeinen Guten, dem Gegenstande des Willens, als einzelnes Gut enthalten. Soweit es aber die bestimmte Gestaltung des Willensaktes anbelangt, die vom Gegenstände ausgeht, so bewegt die Vernunft den Willen vermittelst der Auffassung des vorliegenden einzelnen Guten; denn auch das Gute selber, insofern es als einem besonderen Wesen zugehörig betrachtet wird, fällt als etwas Wahres unter den Gegenstand der Vernunft, dem allgemeinen Wahren. Und so ist es offenbar, wie nicht das Nämliche unter dem nämlichen Gesichtspunkte bewegend und bewegt ist.
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