Sechster Artikel. Von Gott allein als von einem außen befindlichen Princip wird der Wille bewegt.
a) Dies scheint nicht so. Denn: I. Was eine Stufe tiefer steht, ist seiner Natur nach geeignet, von dem in Thätigkeit gesetzt zu werden, was höher ist. Über dem menschlichen Willen aber steht zuvörderst der des Engels und dann erst der göttliche. Also wird der menschliche Wille als von dem ihm äußerlichen Princip vom Engel aus bewegt. II. Der Willensakt entspricht dem vernünftigen Erkenntnisakte. Die menschliche Vernunft aber erhält nicht nur von Gott, sondern auch von den Engeln Erleuchtungen, wie Dionysius sagt. (4. de div. nom.) Also geschieht dies auch entsprechend beim Willen. III. Gottes Wirken hat nur Gutes zur Folge, wie es Gen. 1. heißt: „Und es sah Gott Alles, was Er gethan; und es war sehr gut.“ Vermittelst des Willens aber „wird sowohl gesündigt als auch recht gelebt“, nach Augustin. (2. Retract.) Also wird der Wille nicht von Gott allein bewegt. Auf der anderen Seite schreibt der Apostel (Phil. 2.): „Gott wirkt in uns das Wollen und das Vollbringen.“
b) Ich antworte, daß die Willensbewegung von innen heraus sich vollzieht wie die Bewegung, welche zum Princip die Natur in einem Dinge hat. Nun kann wohl ein Gegenstand innerhalb der Natur von einer Kraft inBewegung gesetzt werden, die nicht die Ursache der Natur in diesem so bewegten Gegenstande ist; jedoch kann die seiner inneren Natur entsprechende Bewegung nur verursacht werden von dem, was irgendwie Ursache dieser Natur ist. Denn der Stein z. B. wird nach der Höhe hin vom Menschen in Bewegung gesetzt, der des Steines Natur nicht gemacht hat; aber diese Bewegung ist nicht gemäß der inneren Natur des Steines. Die natürliche Bewegung desselben wird einzig und allein von dem verursacht, was die Ursache der Natur des Steines ist. „Was da erzeugt,“ sagt Aristoteles (8 Physic.), „das ist das Principe der Bewegung von Ort zu Ort für Leichtes und Schweres.“, So kann also es sich treffen, daß auch der Mensch, welcher einen Willen hat, von einer Kraft in Thätigkeit gesetzt wird, die nicht die Ursache von ihm ist; daß aber die freiwillige, von innen herausquellende Thätigkeit desselben von einem außen stehenden Princip herrühre, das nicht den Willen verursacht hat; — das ist unmöglich. Die wirkende Ursache des Willens nun kann Gott allein sein. Denn 1. ist der Wille ein Vermögen der vernünftigen Seele, welche Gottes schaffender Kraft ihr Dasein verdankt. Dann ist aber auch 2. der Wille seiner Natur nach auf das Gute im allgemeinen gerichtet, also auf alles Gute ohne Ausnahme; also kann nur Gott, die thatsächliche Fülle alles Guten, seinen Akt verursachen. Denn jegliches andere Gute ist ein Gut vermittelst der Teilnahme am Allguten und somit ist es in jedem Falle ein beschränktes Gut. Ein solches Gute aber kann nicht eine Neigung verursachen, die auf alles Gute sich richtet. So kann ja auch der Stoff im allgemeinen, der Urstoff, die materia prima, also das Vermögen für alle Formen, nicht verursacht werden von einer beschränkten Ursache, deren Wirkung also nur einer beschränkten Form ähnlich sein kann.
c) I. Nicht in der Weise steht der Mensch über dem Engel, daß letzterer die Ursache des menschlichen Willens wäre; wie die Himmelskörper die Ursache der Seinsformen hier im vergänglichen Stoffe sind, welchen Formen gemäß dann die naturnotwendigen Bewegungen der stofflichen vergänglichen Dinge sich vollziehen. II. Die Vernunft des Menschen wird vom Engel erleuchtet von seiten des Gegenstandes her, welcher kraft des Lichtes und der Kraft des Engels als Erkenntnisgegenstand vorgestellt wird. Und auf diese Weise kann auch der Wille von seiten des Gegenstandes her durch eine außen stehende Kreatur bewegt werden. III. Gott als allgemeine bewegende Kraft setzt in Bewegung den Willen des Menschen zu dem allgemeinen Gegenstande des Willens hin, also zum Guten überhaupt. Und ohne diese auf das Allgemeine gerichtete Bewegung kann der Mensch nichts Besonderes wollen. Der Mensch aber bestimmt sich kraft der Vernunft, um dies oder jenes zu wollen; mag es sich um ein wahres Gut handeln oder um ein Scheingut. Bisweilen aber bewegt Gott einige in besonderer Weise, daß sie etwas Einzelnes, genau Bestimmtes wollen, was ein Gut ist; und dies geschieht bei denen, welche er vermittelst der Gnade bewegt. (Vgl. unten Kap. 109 und 114.)
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