Erster Artikel. Die Auswahl ist wesentlich eine Thätigkeit des Willens.
a) Dementgegen schließt: I. Jede Auswahl ein Vergleichen in sich ein des einen mit dem anderen, was besser ist. Vergleichen aber ist ein Akt der Vernunft. II. Die Auswahl ist etwa wie die endgültige Schlußfolge im Bereiche alles dessen, was dem Wirken unterliegt. Ein und derselben Kraft aber gehört es zu, den Syllogismus zu machen und den Schluß zu ziehen. Also gehört es der Vernunft zu, daß sie auswählt. III. Die Unwissenheit ist nicht im Willen, sondern in der Vernunft. Es giebt aber eine gewisse Unwissenheit im Wählen; wie Aristoteles sagt. (3 Ethic. 1.) Auf der anderen Seite schreibt Aristoteles (l. c. 3.): „Die Auswahl ist das Verlangen nach dem, was in uns ist.“ Verlangen aber kommt dem Willen zu.
b) Ich antworte, im Ausdrucke des „Wählens“ sei etwas eingeschlossen, was zur Vernunft gehört; und etwas, was dem Willen entspricht. Denn Aristoteles sagt (6 Ethic. 2.): „Die Wahl ist das vernünftige Begehren oder die begehrende Vernunft.“ So oft aber zwei Elemente zusammentreten, um etwas Eines herzustellen, so ist von diesen zwei Elementen das eine bestimmend mit Rücksicht auf das andere. Deshalb schreibt Gregor von Nyssa (de nat. hom. 33.): „Die Wahl ist weder allein das Begehren an und für sich genommen; noch das Beratschlagen allein, sondern etwas aus diesen beiden Elementen Zusammengesetztes.“ So sagen wir, das sinnbegabte Wesen sei zusammengesetzt aus Leib und Seele; und meinen damit, dieses Wesen sei weder der Körper für sich allein noch die Seele, sondern es sei Beides in eine Einheit verbunden. Es ist aber bei den Thätigkeiten der Seele zu berücksichtigen, daß eine solche Thätigkeit, welche ihrem Wesen nach einem einzigen Vermögen oder Zustande angehört, seine bestimmende Form und Gestalt insoweit von einem höheren Vermögen oder Zustande erhält als das Niedrigere bezogen wird auf das Höhere. Denn wenn jemand z. B. einen Akt der Stärke vollbringt um der Liebe Gottes willen, so ist dieser Akt wohl an sich (naturaliter) ein Akt der Stärke, die bestimmende Kraft in ihm aber kommt von der Liebe, er ist im moralischen Sinne (formaliter) ein Akt der Liebe. Nun ist es aber offenbar, daß die Vernunft gewissermaßen dem Willen vorangeht und dessen Thätigkeit regelt, insoweit nämlich der Wille zu seinem Gegenstande hinstrebt gemäß der Ordnung, welche von der Vernunft hergestellt ist; denn die auffassende Kraft stellt dem Vegehrvermögen seinen Gegenstand vor. So also ist jener Akt, vermittelst dessen der Wille nach etwas strebt, was ihmals Gut vorgelegt wird, deshalb weil er durch die Vernunft zweckgemäß geregelt ist, materialiter wohl, als etwas noch weiter Bestimmbares, dem Willen angehörig; die bestimmende, regelnde Kraft aber für selbigen kommt von der Vernunft, er ist formaliter der Vernunft zugehörig. In dergleichen nun verhält sich die Substanz oder das Wesen des Aktes, wie oben die der Stärke, als etwas Bestimmbares zu jener Ordnung, welche von dem höheren Vermögen ausgeht. Und also ist dem Wesen oder der Substanz nach die Wahl kein Akt der Vernunft, sondern des Willens. Denn die Wahl vollendet sich in einer gewissen Bewegung der Seele zum Guten hin, was erwählt wird. Also ist sie offenbar ein Akt der Begehrkraft.
c) I. Die Wahl ist nicht der Substanz oder dem Wesen nach das Vergleichen selber, sondern letzteres wird von ihr nur vorausgesetzt. II. Die erwähnte Schlußfolge gehört der Vernunft an und wird der „Spruch“ oder das „Urteil“ genannt; und ihr folgt die Wahl. Die Schlußfolge selber also scheint zur Wahl zu gehören, wie zu dem, was ihr unmittelbar folgt. III. Von einer Unwissenheit der Wahl oder im Wählen wird gesprochen; nicht als ob die Wahl selber Wissenschaft sei, sondern weil man in Unkenntnis darüber ist, was auszuwählen sei.
