Zweiter Artikel. Den Tieren kommt es nicht zu, daß sie wählen.
a) Es scheint dies aber doch. Denn: I. „Die Wahl ist nichts Anderes als das Verlangen nach etwas um des Zweckes willen;“ die Tiere aber begehren nach manchem um des Zweckes willen. II. Kraft der Auswahl wird eines vor dem anderen bevorzugt. Dies kommt aber bei den Tieren offenbar vor; wie z. B. das Schaf das eine Kraut frißt, das andere liegen läßt. III. 6 Ethic. 12. heißt es: „Der Klugheit gehört es zu, daß jemand gut auswählt um des Zweckes willen.“ Klugheit aber haben die Tiere; wie im Anfang der Metaphysik Aristoteles sagt: „Klug sind, aber nicht fähig weitergebildet zu werden, alle jene Wesen, welche Laute nicht hören können wie die Bienen.“ Zudem erscheinen offenbar ganz wunderbar hohe Stufen von Scharfsinn in den Werken vieler Tiere wie bei den Bienen, den Spinnen, Hunden. Denn wenn z. B. der Hund einen Hirsch verfolgt und zu einer Stelle kommt, wo drei Wege sich kreuzen, so schnüffelt er wohl an dem einen und dem zweiten Wege, ob der Hirsch denselben genommen habe; findet er da, der Hirsch habe diese beiden Wege nicht betreten, so läuft er, ohne zu schnüffeln, den dritten Weg; er ist sicher, daß er ihn da finden werde; — als ob der Hund sich einen Syllogismus machte: drei Wege giebt es nur; auf zwei Wegen findet sich keine Spur vom Hirsche; also findet sich derselbe in der dritten Richtung. Das aber ist Auswahl. Auf der anderen Seite sagt Gregor von Nyssa (de naturis hom. 33.): „Kinder und vernunftlose Wesen thun wohl etwas willig; aber nicht aus freier Wahl.“
b) Ich antworte, daß, da auf Grund des Auswählens das eine vor dem anderen bevorzugt wird, notwendig die Wahl sich nur vollziehen kannmit Rücksicht auf eine Mehrheit, innerhalb deren ausgewählt werden kann. Wenn also Wesen durchaus nur auf Eines hin bestimmt sind, so hat da ein Wählen keine Stelle. Dies ist aber gerade der Unterschied zwischen dem sinnlichen Begehren und dem Willen; denn (Kap. 1, Art. 2., ad 3) das sinnliche Begehren ist auf ein beschränktes Eine hin von vornherein bestimmt gemäß der Ordnung der Natur. Der Wille aber ist nach der Ordnung der Natur wohl bestimmt auf eme Einheit hin; aber dies ist das Gute im allgemeinen, was da keinerlei beschränkte Güter von sich ausschließt. Und deshalb ist es dem Willen eigen, zu wählen; nicht aber dem sinnlichen Begehren, was allein, nämlich ohne Vernunft in den Tieren sich findet.
c) I. Nicht jegliches Verlangen nach etwas um eines Zweckes willen wird als Auswahl bezeichnet, sondern dann nur, wenn das eine vom anderen wahrhaft geschieden ist und nicht beides wieder unter einer beschränkten Einheit sich inbegriffen findet. Das kann aber nur statthaben, wenn das Verlangen auf nichts Beschränktes von vornherein gerichtet ist. II. Das Tier nimmt das eine vor dem anderen, weil sein Begehren von Natur aus nach der betreffenden Richtung hin bestimmt ist. Wenn deshalb durch die Einbildung oder den Sinn ihm etwas vorgestellt wird, wozu von Natur sein Begehren hingeneigt ist, so bewegt es sich ohne Wahl dahin, wie ohne Wahl das Feuer nach oben steigt. III. „Die Bewegung ist die Thätigkeit des Beweglichen, soweit sie im Bewegenden ihren Grund hat,“ heißt es 3 Physic. Die Kraft also des Bewegenden wird offenbar in der Bewegung des Beweglichen. Und deshalb erscheint in allem, was von einer Vernunft her in Thätigkeit gesetzt wird, die Ordnung der bewegenden Vernunft, mögen auch die von der Vernunft her bewegten Wesen selber keine Vernunft haben. So z. B. fliegt der Pfeil unmittelbar zur Scheibe hin auf Grund des vom Schützen gegebenen Anstoßes, als ob er selber Vernunft hätte. Und so ist es bei der Bewegung in den Uhren und ähnlichen Dingen, welche die menschliche Kunst herstellt. Im nämlichen Verhältnisse aber, in welchem Kunstwerke zur menschlichen Kunst stehen, finden sich alle Dinge auf Grund ihrer Natur zur göttlichen Kunst. Und sonach erscheint Ordnung in allem dem, was kraft seiner Natur in Bewegung ist. Demgemäß haben auch die Tiere natürliche Anlage und Neigung zu höchst geregelten Vorgängen; denn diese Regelung kommt von der göttlichen Kunst. Aus demselben Grunde werden einzelne Tiere klug genannt; nicht aber darum weil in ihnen irgend welche Vernunft oder Wahl wäre. Letzteres erscheint schon daraus, daß alle Tiere, die ein und derselben Natur angehören, immer in ähnlicher Weise thätig sind.
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