Inhaltsangabe S. 55
Das Wesen des Glaubens besteht nicht im Wissen des Gesetzes (Glaubensinhaltes) und im wissenschaftlichen Erweis desselben, sondern in der Bereitwilligkeit zu glauben, die aus dem Willen des Menschen hervorgeht (Kap. 1). Die Kenntnis des Gesetzes (Glaubensinhaltes) ist zwar in verschiedener Hinsicht von hohem Wert. Sie vermittelt der Menschheit den Willen Gottes, bringt die Vorschriften für die Lebensführung zur Darstellung, stellt die Sünde in ihrer Verwerflichkeit dar usw. Aber Abhandlungen über den Glauben bedeuten nicht den Glauben selbst (Kap. 2). Die Frage nach der Berechtigung von Abhandlungen über den Glauben oder einen Glauben der Abhandlung läßt sich dahin beantworten: Die „Abhandlung über den Glauben„ unterstellt den Glauben der Kunst der „Geschwätzigkeit“. Aber auch „der Glaube der Abhandlung“ kann beitragen zur Zerstörung des Glaubens. Es gibt zahlreiche Abhandlungen und zahlreiche Glaubensformeln. Bei ihrer Verschiedenheit muß man sich für eine entscheiden. Sie alle anzunehmen, erzeugt eine Vielheit im Glauben. Sie stehen im Gegensatz zu dem alten Glaubensbegriff (Kap. 3). Das Wesen des Glaubens besteht nicht in der Darlegung des Glaubensinhaltes, sondern in der Bereitwilligkeit zu glauben. Diese Bereitwilligkeit bedarf auch nicht der Ergänzung durch eine Darlegung des Glaubens- S. 56 Inhaltes. Zwar ist eine solche nicht wertlos. Aber sie ist nicht der Glaube selbst, der durch die Darlegung nicht gewonnen und nicht verloren werden kann (Kap, 4). So legt sich die Warnung nahe, durch Beweisführung göttliche Dinge, besonders die Gottheit selbst, untersuchen zu wollen. Die Heilige Schrift bietet Gelegenheit zur Betätigung von Gesetzeserfahrung, Und wer den „Glauben des Geistes“ (Charisma) zu haben glaubt, möge dessen Gaben in die Tat umsetzen. Das Unterfangen aber, die ewige Gottheit des Sohnes und des Heiligen Geistes zu erforschen, grenzt an Gottlosigkeit. Davor warnt die Heilige Schrift (Kap. 5). Alle derartigen Untersuchungen führen zu Streit, und Streit zerstört den Glauben und die Liebe. In ihnen besteht aber die wahre Religiosität (Kap. 6).
Der Traktat findet seine Erklärung in dem Mißtrauen, das sich in weiten Kreisen gegen die Abhandlungen über die Trinität, besonders aber gegen die zahlreichen sich widersprechenden Glaubensformeln geltend machte, die in den letzten zwei Jahrzehnten des arianischen Streites aufgetreten waren. Schon auf der Kirchweihsynode von Antiochien 341 waren drei Formulierungen der "Fides„ aufgetreten, von denen eine später als Synodalformel galt. Auf der wenige Monate später ebenfalls in Antiochien tagenden Synode wurde eine neue vierte vereinbart. Es folgten die verschiedengestaltigen Formeln von Sirmium aus den Jahren 351, 357, 358, 359. In ähnlichen Worten hatte sich auch schon Hilarius gegen die Verwirrung gewandt, die dadurch entstanden: „Seit der Synode von Nicaea wird nur mehr über den Glauben geschrieben. Und während man sich über die Worte streitet, ... der eine den anderen anathematisiert, ist keiner mehr ein Schüler Christi.“ Er glaubte sich entschuldigen zu müssen, wenn er Glaubensformeln erklärte: es ist eine Notwendigkeit, die durch die Arianer aufgedrungen ist. Was im religiösen Empfinden des Geistes verschlossen S. 57 bleiben sollte, wird der Gefahr menschlicher Aussprache ausgesetzt. Und ebenso hat später Ambrosius sich mehr als einmal gegen derartige Untersuchungen gewandt und erklärt, die Tiefen der Gottheit mehr fürchten als ergründen zu wollen.
Der Traktat fällt in seiner Entstehung wohl in die ersten Jahre der Wirksamkeit Zenos, die unter dem Eindruck der erwähnten Formulierungen standen. Er darf wohl trotz der Vermutungen der Herausgeber Ballerini und Giuliari, die ihn mehr als einen Brief denn als Predigt betrachten, als solche angesprochen werden. Die Form der Anrede und die Mahnung im Schlußkapitel scheinen darauf hinzudeuten.