8.
Werde eine zuverläßige Schatzkammer der Tugend, und zum Schlüssel diene dir die Zunge deines geistigen Vaters. Sie öffne dir den Mund zum Empfange des Brodes und verschließe ihn. Nicht nimm die Schlange zum Rathgeber, die, anstatt gut zu rathen, dich als Beute fort führen will. Selbst bis auf das Zuschmecken mit der Zunge hüte dich vor dem heimlichen Essen. Denn wird dich der Feind im Kleinen stürzen können, so wird er dich im Kampfe niederwerfen und in Fesseln schlagen. Leihe deine Ohren nicht jedem Schwätzer, noch antworte jedem Plauderer in Reden, die dem Zwecke der Tugendübung nicht entsprechen. Höre gern gute Lehren und bewahre dein Herz durch die Betrachtung derselben. Hüte deine Ohren vor weltlichen Gesprächen, damit nicht der spritzende Koth deine Seele beflecke. Bemühe dich nicht zu hören, was Andere sagen, noch stecke deinen Kopf mitten unter die Sprechenden, damit du nicht selbst verlacht werdest und die Andern zu Verleumdern machest. Sei nicht neugierig und wolle nicht Alles sehen, damit du nicht das Gift der Leidenschaften in deinen Geist aufnehmest. Sieh auf nützliche, höre auf nützliche, rede auf nützliche, antworte auf nützliche Weise. Maße dir nicht an, in Gegenwart eines Höheren, als du bist, zu sitzen. Wirst du aber dazu genöthigt, so nimm nicht neben ihm Platz, sondern sieh dich da und dort um, und suche einen niedrigeren Sitz zu finden, damit dich Gott wegen deiner Demuth verherrliche. Wirst du gefragt, so antworte in geziemendem und bescheidenem Tone; wirst du nicht gefragt, so schweige still. Wird ein Anderer gefragt, so verschließe deinen Mund, damit nicht die Zunge, vom vorschnellen Herzen getrieben, herauseilt und Einen, der es mit dem asketischen Leben genau nimmt, beleidigt und dich in die Bande der Vorwürfe schlägt. Sitzest du, so lege nicht ein Bein über das andere, denn das ist ein Zeichen von Unachtsamkeit und einer überspannten Seele. Redest du mit S. 28 einem Geringeren als du, oder wirst du von ihm gefragt so antworte ihm nicht träge und zögernd, als ob du deinen Bruder Gott zum Hohn verachtetest. Denn „wer den Armen verachtet, der schmäht den Schöpfer desselben,“ sagt das Sprüchwort. 1 Ein ermunterndes Wort gehe deiner übrigen Rede vorher, welches deine Nächstenliebe bestätigt. Bringe es auch an in der Mitte und am Ende des Gesprächs und zwar mit heiterem Antlitz, damit du den, der mit dir redet, erfreuest. Über jede gute Handlung des Nächsten freue dich und preise Gott; denn dein sind seine guten Werke, wie auch die deinigen sein sind. Bei Zusammenkünften vermeide den ersten Platz und ersten Sitz, begib dich aber auf die letzte Stelle, damit du vielmehr hörest: "Freund, rücke weiter hinauf.“ 2 Bei Tische zeige sich deine linke Hand nicht ungebührlich und laß sie der rechten nicht vorgreifen. Vielmehr sei sie unthätig, wenn nicht, so unterstütze sie die rechte. So oft du zum Gebete gerufen wirst, laß deinen Mund mitsprechen und wohne der Andacht bis zum letzten Gebete bei, die Abbrechung für einen großen Nachtheil haltend. Denn wenn du zur Erhaltung deines Körpers Speise zu dir nimmst, lässest du dich schwer losreissen und hältst dich am Tische, bis du vollkommen gesättigt bist und entfernst dich nicht leicht ohne dringende Noth; um wie viel mehr mußt du bei dem geistigen Mahle ausharren und deine Seele mit dem Gebete stärken! Denn so groß der Unterschied ist zwischen Himmel und Erde und den himmlischen und irdischen Dingen, so groß ist der Unterschied zwischen Seele und Körper.
