9.
Die Seele ist ein Sinnbild des Himmels, denn in ihr wohnt der Herr; das Fleisch aber ist von der Erde, aus welcher sterbliche Menschen und unvernünftige Thiere wohnen. Daher richte deine leiblichen Bedürfnisse nach den Gebetsstunden ein und sei bereit, keinem Gedanken Gehör S. 29 zu geben, der dich von dem vorgeschriebenen Gebete abhält. Denn die bösen Geister pflegen uns während der Gebetsstunden unter einem schicklichen Grunde zum Abtreten anzureizen, um uns unter einem scheinbar guten Vorwande von dem heilsamen Gebete zu entfernen. Wende nicht vor und sage: Ach mein Kopf, ach mein Bauch, indem du andächtige Zeugen eines nicht vorhandenen Schmerzes anführst und der Ruhe wegen deine Kraft zu wachen abschwächst. Verrichte vielmehr verborgene Gebete, welche Gott im Verborgenen sieht, und welche er dir öffentlich belohnen wird. Schaffe dir durch einen sehr guten Lebenswandel einen überflüssigen Schatz, damit du am Tage der Noth einen verborgenen Reichthum findest. Bei deinen täglichen Beschäftigungen verbinde mit der körperlichen Arbeit auch ein ermunterndes Wort aus Liebe zu denen, welchen du dienst, damit dein Dienst angenehm werden weil mit Salz gewürzt. Die obliegenden Arbeiten laß keinen Andern verrichten, damit dir nicht auch der Lohn entrissen und einem Andern gegeben werde und ein Anderer von deinem Reichthume Ehre habe, während du erniedrigt wirst. Erfülle deine Dienstpflichten mit Anstand und Sorgfalt, als ob du Christus selbst dientest. „Denn verflucht,“ heißt es, „ist Jeder, welcher die Werke des Herrn nachläßig thut.“ 1 Fürchte den Mißbrauch, der aus dem Zuviel und der Nachläßigkeit entsteht, und scheint der Dienst, welchen du unter Händen hast, gering, so wisse, daß Gott ihn sieht. Dienen ist ein wichtiges Werk, denn es erwirbt das Himmelreich. Denn es ist ein Netz der Tugenden, welches alle Gebote Gottes in sich schließt. Und an erster Stelle enthält es die Demuth, die Mutter aller Tugenden, die eine Menge Güter mit sich bringt. Dann enthält es: „Ich war hungrig und ihr gabet mir zu essen; ich war durstig, und ihr habt mich getränkt; ein Fremdling und krank und im Gefängniß und ihr habt mich bedient.“ 2 Dieses trifft besonders zu, S. 30 wenn man seine Pflicht mit demüthigem Herzen, ohne Hoffart, Zorn und Murren erfüllt. Eifere denen nach, die rechtschaffen leben, und präge ihre Handlungen deinem Herzen ein. Wünsche einer der Wenigen zu werden; denn das Gute ist selten, darum sind auch Wenige, die ins Himmelreich kommen. Denke nicht, Alle, die in der Zelle seien, Gute und Schlechte würden selig. So ist es freilich nicht. Denn Viele widmen sich dem frommen und heiligen Leben, wollen aber das Joch desselben nicht tragen. Denn das Himmelreich gehört den Gewaltigen, und die Gewalt gebrauchen, reissen es an sich. 3 So sagt das Evangelium; Gewalt nennt es die Beschwerden des Körpers, welche die Jünger Christi freiwillig auf sich nehmen, indem sie auf ihren eigenen Willen und die Ruhe des Körpers verzichten und alle Gebote Christi beobachten. Willst du daher das Reich Gottes an dich reissen, so brauche Gewalt und beuge deinen Nacken unter das Joch der Dienstbarkeit Christi, befestige sein Joch an deinem Halse, es drücke deinen Nacken, erleichtere es dir durch Übung der Tugenden, durch Fasten, Wachen, Gehorsam, Schweigen, Psalmgesang, Gebet, Thränen, Handarbeit, Ertragung jeder Trübsal, die von bösen Geistern oder Menschen über dich kommt.
