3. Cap. Von den Gemeinbegriffen darf man nur das gelten lassen, was mit den Offenbarungslehren harmoniert; sonst verfällt man in Häresie.
Es gibt zwar auch ein Denken nach dem allgemeinen Menschenverstande in Sachen der Offenbarung, allein nur zum Zeugnis für die Wahrheit, nicht zur Unterstützung von etwas Falschem, welches der göttlichen Anordnung entsprechend sein soll und nicht derselben zuwiderläuft. Denn manche Dinge sind von Natur aus bekannt, so z. B. sehr vielen die Unsterblichkeit der Seele, allen Menschen der von uns verkündete Gott. Wenn also ein Plato sagt:1 „Jede Seele ist unsterblich“, so werde auch ich mich seines Ausspruches bedienen; wenn das gewöhnliche Volk das Dasein eines Gottes der Götter bezeugt, so werde ich mich seiner Wissenschaft bedienen. Ich werde mich auch der übrigen allgemeinen Begriffe bedienen, worin z. B. das Richteramt Gottes verkündet wird: „Gott sieht es“, und „Ich stelle es Gott anheim“. Hingegen wenn die Leute sagen: „Tot ist tot“, oder „So lang du das Leben hast, lebe auch!“ oder „Nach dem Tode ist alles aus und er auch“, dann werde ich daran denken, dass Gott das Herz der Menge wie Asche gerechnet2 und sogar die Weisheit dieser Welt für Thorheit erklärt hat.3
Wenn dann der Häretiker zu den Fehlern des Pöbels und der Denkart der Welt seine Zuflucht nimmt, so werde ich sagen: Häretiker, lass den Heiden gehen! Obwohl Ihr, die Ihr Euch Euren Gott macht, alle eins seid, so bist Du, indem Du dies unter dem Namen Christi thust, und Dir einredest, Christ zu sein, doch vom Heiden verschieden. Gib S. 425 ihm seine Ideen zurück, da er sich ja auch nicht durch die Deinigen belehren lässt. Warum nimmst Du dir einen blinden Führer als Stütze, wenn Du selber siehest? Was lässest Du Dich von einem Nackten ankleiden, wenn Du Christum angezogen hast? Was bedienst Du Dich eines fremden Schildes, wenn Du vom Apostel mit Waffen ausgerüstet bist? Richtiger sollte der andere von Dir die Auferstehung des Fleisches bekennen lernen, statt dass Du sie durch ihn verleitet verkennest. Denn wenn dieselbe von christlichem Standpunkte in Abrede gestellt werden müsste, so wäre es genug, sie auf Grund eigenen Wissens zu leugnen, nicht aber aus der Unwissenheit der Heiden Belehrungen zu schöpfen. Wer leugnet, was die Christen behaupten, und wer es noch dazu mit Hilfe solcher Argumente, deren sich die Nichtchristen bedienen, thut, der dürfte wohl kein Christ mehr sein.
Man nehme also den Häretikern die Anschauungen, die sie mit den Heiden gemein haben, so dass sie mit ihren Untersuchungen lediglich auf den Boden der hl. Schrift gestellt sind, und sie werden nicht bestehen können. Denn die allen Menschen gemeinsamen Begriffe empfehlen sich eben durch ihre Gemeinverständlichkeit, das Mitempfinden der Anschauungen und die Vertrautheit dieser Meinungen; sie werden für um so zuverlässiger gehalten, je mehr sie unverhüllte, gemeinfassliche und allen bekannte Dinge enthalten. Der göttliche Gedanke aber wohnt in der Tiefe, nicht auf der Oberfläche, und ist oftmals dem Augenschein gerade entgegengesetzt.
