40. Cap. Über die Stelle II. Kor. 4, 16 ff.
Es ist kein Wunder, wenn auch verfängliche Argumente aus seinen Schriften entnommen werden. Es muss ja Häresien geben. Es könnte aber keine geben, wenn die Schriftstellen nicht auch verkehrt verstanden werden könnten.
Da die Häretiker also finden, dass der Apostel etwas hat verlauten lassen vom zweifachen Menschen, einem inneren, d. i. der Seele, und einem äusseren, d. i. dem Leibe, so haben sie der Seele, d. i. dem inneren Menschen, die Erhaltung, dem Leibe aber, d. i. dem äussern, den Untergang zuerkannt, weil im Briefe an die Korinther geschrieben stehe: „Wenn auch unser äusserer Mensch hinschwindet, der innere erneuert sich von Tag zu Tag“.1 Nun aber ist weder die Seele für sich allein der Mensch, da sie jenem Gebilde, das den Namen Mensch bereits führte, eingegeben wurde, noch ist der Leib ohne die Seele der Mensch, da er nach dem Austritt der Seele Leichnam genannt wird. So ist der Ausdruck „Mensch“ gleichsam das Bindemittel für die zwei verbundenen Substanzen; im Besitz dieser Bezeichnung können sie nicht anders als verbunden sein.
Der Apostel aber will unter dem innern Menschen nicht sowohl die Seele als vielmehr die Gesinnung und den Geist verstanden wissen, d. h. nicht die Substanz selbst, sondern den geistigen Geschmack der Substanz. Wenn er darum an die Epheser schreibt, „dass in bezug auf den innern Menschen Christus darin wohne,“2 so hat er natürlich damit gemeint, der Herr müsse in seinem Herzen weilen. Denn er setzt gleich hinzu: „durch den Glauben auch in Euren Herzen“ und „in Liebe“, nicht um Glauben und Liebe als konstituierende Bestandteile der Seele hinzustellen, sondern als begriffliche; wenn er aber sagt „in den Herzen“, welche wesentliche Bestandteile des Leibes sind, so hat er damit den innern Menschen in den Leib verwiesen; denn er setzt ihn ins Herz. Berücksichtige auch, dass der äussere Mensch nach Pauli Angabe hinschwinden, der innere aber sich von Tag zu Tag erneuern soll, dann wirst du nicht mehr behaupten, das sei die Verwesung des Leibes, welche er vom Tage seines Todes an in immerwährender Vernichtung erträgt, sondern die, welche er in der Spanne dieses Lebens vor dem Tode und bis zum Tode durch Plagen und Heimsuchungen, durch Qualen und Peinen der Religion wegen erleiden wird. Denn der innerliche Mensch soll hier durch die S. 472 Eingebungen des Geistes immerfort erneuert werden, indem er im Glauben und in der Disziplin von Tag zu Tag fortschreitet, nicht jenseits, das wäre in der Auferstehung, wo uns dann doch kein tagtägliches Erneuertwerden bevorsteht, sondern ein einmaliges in der vollkommensten Weise. Dies lerne aus den darauf folgenden Worten: „Unsere gegenwärtige vorübergehende und leichte Bedrängnis wird in uns bewirken eine überschwengliche ewige Fülle von Herrlichkeit, indem wir nicht auf das sehen, was sichtbar ist, — d. i. die Leiden, — sondern auf das, was unsichtbar ist, — d. i. die Belohnungen, — denn das Sichtbare ist nur zeitweilig, das Unsichtbare aber ewig.“ Von den Bedrängnissen und Schäden, wodurch der äussere Mensch aufgerieben wird, sagt Paulus, dass man sie, als leichte und vorübergehende, verachten müsse, indem er die Fülle der Herrlichkeit und der unsichtbaren ewigen Belohnungen hervorhebt, welche zur Vergeltung der Mühseligkeiten dienen, in deren Ertragung hier auf Erden der Leib dahinschwindet.
Das ist also nicht das Hinschwinden, welches sie, um die Auferstehung zu beseitigen, dem äussern Menschen beilegen zu beständiger Vernichtung des Leibes. So sagt er auch an einer andern Stelle: „Wir leiden ja mit ihm, um auch mitverherrlicht zu werden; ich achte nämlich, dass die Leiden dieser Zeit nicht wert sind der künftigen Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden.“3 Dort zeigt er, dass die Beschwerden geringer sind als die Belohnungen dafür. Wenn wir aber mitleiden dem Fleische nach, dem es zukommt, im eigentlichen Sinne durch die Leiden aufgezehrt zu werden, so wird ihm auch das zu Teil, was für die Teilnahme am Leiden verheissen wird. Er schreibt also dem Fleische die Bedrängnisse in dem Grade als etwas ihm Eigentümliches zu, dass er sich vorher des Ausdrucks bedient: „Da wir nach Macedonien gekommen waren, hatte unser Fleisch keine Erholung“;4 sodann er fährt, um auch der Seele ihren Anteil am Leiden zuzuwenden, fort: „In allem bedrängt, von aussen Kämpfe“ — solche nämlich beunruhigen das Fleisch — „von innen Furcht“ — diese drückt nämlich die Seele nieder. Also, wenn der äussere Mensch aufgerieben wird, so wird das Aufreiben nicht so verstanden werden, als ginge er der Auferstehung verlustig, sondern so, dass er Bedrängnis aussteht, und aus diesem Grunde eben ist die Gemeinschaft des innern Menschen nicht ausgeschlossen. So wird also beiden alles gemeinsam sein, sowohl zusammen verherrlicht zu werden, als auch zusammen zu leiden. Entsprechend der Teilnahme an der Arbeit muss auch der Anteil an den Belohnungen ausfallen.
