15.
Wenn also selbst der innerliche, hochstehende Mensch fällt, wie kann dann der nächste beste sagen: Ich faste, lebe in der Einsamkeit, und verteile meinen Besitz, also bin ich heilig? Denn die Enthaltung vom Bösen ist noch nicht die Vollkommenheit. Du mußt vielmehr in deinen befleckten Geist eindringen und die Schlange töten, die im Innern deines Geistes und in den Tiefen deiner Gedanken in den sogenannten Kammern und Gemächern deiner Seele lauert, um dich zu morden. Denn ein Abgrund ist das Herz. Jene also mußt du töten S. 172 und alle Unreinheit in dir entfernen. Denn alle Philosophen, das Gesetz, die Apostel und die Ankunft des Heilands haben es auf Reinigung abgesehen. Alle Menschen, ob Juden oder Griechen, lieben ja die Reinheit und doch können sie nicht rein werden. Es gilt also zu untersuchen, wie und wodurch die Herzensreinheit zustande kommen kann. Wohl nicht anders als durch den für uns Gekreuzigten. Denn er ist „der Weg, das Leben, die Wahrheit“1, „die Türe“2, die Perle, „das lebendige Himmelsbrot“3. Ohne die genannte Wahrheit kann niemand die Wahrheit erkennen oder gerettet werden. Hast du nun, was den „äußeren Menschen“ und die sichtbaren Dinge anlangt, allem entsagt und deinen Besitz verteilt, so mußt du auch auf dem Gebiete der weltlichen Weisheit, sofern du über Kenntnisse und Redekraft verfügst, alles [von dir] werfen und nichts [von dir] halten. Nur so kannst du auf „der Torheit der [apostolischen] Verkündigung“4 aufgebaut werden. Diese Verkündigung ist die wahre Weisheit. Sie kennt keinen Redeprunk, aber sie besitzt eine Kraft, die durch das heilige Kreuz wirksam ist. Preis sei der wesensgleichen Dreieinigkeit5 in Ewigkeit. Amen. 18. Homilie.
