8.
„Und es nannte Gott das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht1.” Nunmehr, nach Erschaffung der Sonne, ist Tag die von der Sonne erleuchtete Luft, wenn diese an der Halbkugel über der Erde erscheint; die Nacht aber ist das Dunkel der Erde, das mit Sonnenuntergang eintritt. Damals aber kam der Tag und folgte die Nacht nicht nach der Bewegung der Sonne, sondern durch jenes erstgeborne Licht, das in der von Gott bestimmten Fülle sich ergoß und sich wieder zurückzog. „Und es ward Abend, und es ward Morgen, Ein Tag2.” Der Abend ist also die gemeinsame Grenze von Tag und Nacht, und der Morgen ist ebenso die Annäherung der Nacht an den Tag. Um nun das erste Vorrecht der Entstehung dem Tag zu geben, nannte Moses zuerst die Grenze des Tages, dann erst die der Nacht, als wenn die S. 38 Nacht dem Tage folgte. Der Zustand der Welt vor Entstehung des Lichtes war nicht die Nacht, sondern die Finsternis; aber das Gegenteil vom Tage wurde eben Nacht genannt und hat auch erst nach dem Tage den neuen Namen bekommen. „Es ward also Abend, und es ward Morgen.” Er redet also von einer Tag-Nachtzeit3. Und in der Beifügung4 sprach er nicht mehr von Tag und Nacht, sondern legte dem wichtigeren Teile die ganze Benennung bei. Diese Manier dürftest du in der ganzen Schrift finden, daß nämlich bei der Messung der Zeit (nur) die Tage, nicht auch die Nächte mit den Tagen gezählt werden5. „Die Tage unserer Jahre”, sagt der Psalmist6. Ferner Jakob: „Die Tage meines Lebens sind wenige und böse7.” Und abermals heißt es: „Alle Tage meines Lebens8.” Sonach ist das, was hier im Gewande der Geschichte geboten wird, ständige Norm für die Folgezeit geworden. - „Und es ward Abend, und es ward Morgen, ein Tag.” Warum sagte er nicht: „Der erste Tag”, sondern „ein Tag”? Es wäre doch, wenn er einen zweiten, dritten und vierten Tag folgen lassen wollte, folgerichtiger gewesen, den eine Reihe anhebenden Tag als ersten zu bezeichnen. Er sagte aber „ein Tag”, um das Maß von Tag und Nacht zu bestimmen und die Tag-Nachtzeit zusammenzufassen; denn 24 Stunden machen einen Tag aus, wenn unter „Tag” auch die Nacht mitinbegriffen wird. Deshalb sind jedenfalls auch zur Zeit der Sonnenwende, wo Tag und Nacht ungleich sind, beide Zeiträume mit der fixierten Zeit umschrieben. So hätte Moses sagen können: „Das Maß von vierundzwanzig Stunden ist die Zeit eines Tages”, oder „der Umlauf des Himmels9 von einem S. 39 bestimmten Zeichen zu demselben zurück vollzieht sich in einem Tage”. So oft also entsprechend der Drehung der Sonne Abend und Morgen die Welt umfangen, so oft wird der Umlauf nicht in längerer Zeit, sondern im Zeitraum eines Tages vollendet.
Noch stärker drängt sich uns der ja sonst tief verborgen liegende Gedanke auf: Gott, der die Natur der Zeit erschaffen, hat ihr in den Tagesabschnitten Maß und Zeichen gesetzt; er mißt sie auch nach der Woche, indem er ihr befiehlt, immer wieder in sich selbst zurückzukehren und so die Bewegung der Zeit zu messen. Die Woche füllt nun wieder einen Tag aus, insofern sie siebenmal in sich zurückläuft10. Das ist aber das Bild des Kreises: von sich ausgehen und in sich zurückkehren. Das ist aber auch der Ewigkeit eigen: in sich selbst zurückkehren und nirgends begrenzt sein. Deshalb nannte er den Anfang der Zeit nicht den ersten, sondern einen Tag, damit er auch schon in der Benennung die Verwandtschaft mit der Ewigkeit habe. Als etwas Einziges und Alleinstehendes charakterisiert, wurde der Tag mit Recht und zutreffend „einer” genannt. Wenn uns aber die Schrift viele Ewigkeiten vorstellt und häufig von der „Ewigkeit der Ewigkeit” und den „Ewigkeiten der Ewigkeiten” redet, so wird uns dabei keine erste oder zweite oder dritte Ewigkeit aufgezählt, sondern es werden uns dabei mehr die Unterschiede der Zustände und der verschiedenen Verhältnisse, nicht aber die Schranken und Grenzen und Reihenfolgen von Ewigkeiten angegeben. „Denn der Tag des Herrn”, heißt es, „ist groß und herrlich11.” Und wieder: „Was fällt euch ein, nach dem Tag des Herrn zu verlangen? Auch er ist Finsternis und nicht (bloß) Licht12.” Finsternis für die, die natürlich die Finsternis verdienen. Die Schrift weiß wohl, daß jener Tag ohne Abend, ohne Nachfolge, ohne Ende ist; er ist jener Tag, den der Psalmist den achten S. 40 zubenannt hat13, weil er außer der Woche liegt. Magst du ihn nun Tag oder Ewigkeit nennen, du sprichst denselben Gedanken aus. Mag nun jener Zustand Tag genannt werden, so ist es einer, und nicht sind es viele; oder mag er Ewigkeit heißen, so ist es wieder eine einzige und keine vielfache. Um unsere Gedanken auf das künftige Leben zu lenken, hat die Schrift jenen Tag einen genannt, jenen Tag, das Bild der Ewigkeit, den Erstling der Tage, den Altersgenossen des Lichtes, den hl. Herrntag, der da geheiligt in der Auferstehung des Herrn. „Es ward also Abend,” heißt es, „und es ward Morgen, ein Tag.”
Doch unsern Worten über jenen Abend gebietet der heutige Abend Einhalt und setzt unserer Rede hier ein Ziel. Der Vater des wahren Lichtes aber, der den Tag mit himmlischem Lichte geziert, die Nacht mit Feuerfunken erleuchtet hat, die Ruhe des zukünftigen Lebens mit geistigem und ewigem Lichte ausgestattet hat, er erleuchte eure Herzen in der Erkenntnis der Wahrheit, er erhalte euer Leben untadelig und verleihe euch, wie am Tage ehrbar zu wandeln14, damit ihr leuchtet wie die Sonne im Lichte der Heiligen, zur Freude mir auf den Tag Christi, dem Ehre und Herrschaft von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Gen 1,5 ↩
Gen 1,5 ↩
ἡμεϱονύκτιον ↩
ἡμέςα μια ↩
Basilius täuscht sich hier. Diese Zählung lesen wir in Gen 7,12; 1 Kön 30,12; Mt 12,40 u.ä. ↩
Ps 89,10 ↩
Gen 47,9 ↩
Ps 22,6 - Fast genau dieselben Ausführungen im Hexaemeron des Ambrosius (I,10,36) ↩
οὐϱανο, nicht ἡγίου ist die Schreibweise der meisten älteren und besseren Handschriften. ↩
Nur diese Wiedergabe entspricht dem Grundtext. Die ganz ähnlich klingenden Äußerungen des Ambrosius (Hexaemeron I,10,37) bestätigen das. ↩
Joel 2,11 ↩
Amos 5,19 ↩
Ps 6,1; 11,1 ↩
vgl. Röm 13,12f ↩
